Predigt vom 24.11.2024 – Christkönig

2024-11-24-Christkönig Joh 18, 33b-37

Thema: Kafkaeske Welt

Liebe Schwestern und Brüder,

dieses bald zu Ende gehende Jahr 2024 ist auch das Jahr des Franz Kafka, der vor 100 Jahren mit erst 40 Jahren gestorben ist. Er erfährt eine große Renaissance. Eine Erzählung heißt: „Ein Landarzt“.

„Ein Landarzt wird in der Nacht zu einem jungen Patienten gerufen in einem entfernten Dorf. Es herrschen eisige Kälte und Schneegestöber. Das Pferd des Arztes ist am Vortag an Erschöpfung verendet. Keiner im Dorf will ihm eines leihen. Nur ein wilder versoffener Pferdeknecht gibt sein Pferd. Nach einer abenteuerlichen Fahrt erreicht er den Patienten, einen jungen Mann mit einer tellergroßen Wunde an der Hüfte, die schon voller Würmer ist. Er sieht sofort, heilen kann er diese Wunde nicht. Der Junge flüstert ihm ins Ohr: „Doktor, lass mich doch sterben.“ Aber dann kommen die Angehörigen und die Leute des Dorfes. Der Arzt muss heilen! Wozu ist er sonst da. Und der Arzt denkt: Rezepte schreiben ist leicht, aber sich mit den Leuten verständigen, das ist unmöglich.

Aber die Leute lassen nicht nach: Wozu ist er Arzt, und heilt er nicht, so tötet ihn!

Und wieder denkt der Arzt: So sind die Menschen, immer das Unmögliche vom Arzt verlangen. Den alten Glauben haben sie verloren. Der Pfarrer sitzt untätig zu Hause und zerzupft die Messgewänder. Aber der Arzt soll alles leisten mit seiner zarten chirurgischen Hand.

Der Arzt entflieht schließlich dieser Situation. Zu Hause angekommen, ist seine blühende Praxis verloren. Sein treues Dienstmädchen Rosa ist Opfer des Pferdeknechtes geworden, wohl völlig traumatisiert. Am Ende steht die Frage: Was soll nun werden, so nackt dem Froste dieses unseligen Zeitalters ausgesetzt? (vgl. Kafka, Die Erzählungen, Anaconda-Velag 2024, S.188 ff)

Kafka hat diese Erzählung 1917 verfasst mitten im ersten Weltkrieg, eine wirklich kafkaeske Zeit, mit einem so unsinnigen Krieg. Und heute? Was soll nun werden? Wir brauchen ja nur 1000 Kilometer weiter östlich in Europa gehen: Millionen von Menschen, nackt dem Frost, den Bomben dieser unglückseligen Zeit ausgesetzt. Und Palästina? Unsäglicher Entwurzelung, Vernichtung ausgesetzt. Weiterlesen

Predigt vom 17.11.2024 – Endzeitvision

2024-11-17-33.So.I.J. – Mk 13,24-32

Steht noch dahin“, heißt ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz, das wie kein anderes zum heutigen Evangelium der Endzeitvision passt.

Ob wir davonkommen ohne gefoltert zu werden,

ob wir eines natürlichen Todes sterben,

ob wir nicht wieder hungern, Abfalleimer nach Kartoffelschalen  durchsuchen,

ob wir getrieben werden in Rudeln, wir haben’s gesehen.

Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache lernen,

den Nächsten belauern, vom Nächsten belauert werden,

und bei dem Wort Freiheit weinen müssen.

Ob wir uns fortstehlen rechtzeitig auf ein weißes Bett oder
zugrunde gehen am hundertfachen Atomblitz,

ob wir es fertigbringen mit einer Hoffnung zu sterben,

steht noch dahin, steht alles noch dahin.
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Predigt vom 10.11.2024 – Echter Wohlstand

2024-11-10-32. Sonntag im Jahreskreis 2024

Markus 12, 38-44

Liebe Schwestern und Brüder,

in der patriarchalischen Gesellschaft des damaligen Israel war es ein ganz schweres Schicksal, Witwe zu werden. Da Frauen völlig in ihrer Existenz vom Mann abhingen, blieb eine Witwe nur, bei einem Sohn oder dem Vater unterzukommen, wenn der Ehemann gestorben war. War beides nicht möglich, dann war die Witwe völlig mittellos.

Da kommt jetzt eine solche Witwe zum Opferkasten des Tempels und wirft zwei kleine Münzen hinein. Ein Theologe hat berechnet, dass eine kleine Münze nach unserem Geld etwa 5 Cent wären. Also 10 Cent ist das ganze Vermögen dieser Frau, das sie jetzt auch noch vorbehaltlos abgibt. Ist das nicht ein Witz? Man fragt sich automatisch: Wovon lebt denn diese Frau jetzt? Die Bibel gibt darüber überhaupt keine Auskunft.

Wir ahnen, dass es sich hier um eine Symbolgeschichte handelt, die sagen will, was das eigentliche Vermögen des Menschen ist, die andere Form von Reichtum. Mir fällt zu diesem Evangelium das zur Zeit viel gelesene Buch von Vivian Dittmar ein: Echter Wohlstand. Gerade ist in Deutschland eine Regierung zerbrochen auch an der Frage: Wie sichern wir den Wohlstand für das Volk? Gemeint ist fast ausschließlich materieller monitärer Wohlstand, Geldwohlstand. Weiterlesen