Liebe Schwestern und Brüder,
viele Asiaten haben die Fähigkeit, sich in tiefe innere Meditation zu versenken.
So versuchte es auch ein in Indien lebender Junge namens Kim, von dem Rudyard Kipling in seinem gleichnamigen Roman erzählt.
Da er schon früh Vater und Mutter verloren hatte, fühlte Kim sich oft einsam. Im Winkel eines geräuschvollen Wartesaals sitzend überfällt ihn plötzlich der Gedanke: Mein Gott, in ganz Indien ist kein Mensch so allein wie ich ! Stürbe ich heute, kein Mensch würde davon sprechen. Dieses Gefühl löst in ihm die Frage aus:
Wer ist Kim —- Kim —-Kim?
Die Hände im Schoß zusammengefaltet, die Pupillen zu Stecknadelspitzen zusammengezogen, entfernen sich alle Gedanken von ihm. Vor ihm steht nur noch diese eine Frage:
Wer ist Kim —- Kim —-Kim?
Dabei spürt er, daß die Antwort ganz nahe ist. Er hat den Eindruck, im nächsten Augenblick löst sich das gewaltige Rätsel. Doch dann fällt sein Geist aus den erreichten Meditationshöhen wieder herab, so wie ein Vogel abstürzt, der verwundet ist. Kim bedeckt die Augen und weint bitterlich. Da nähert sich ihm ein langhaariger Hindupriester, ein heiligmäßiger Mann und sagt: Du wolltest wissen, kleiner Bruder, was für ein Ding Deine Seele ist. Gehe in Hoffnung, aber gehe. Es ist ein langer Weg bis zu den Füßen des einen Gottes. Aber wir wandern alle dahin. Jetzt fühlt sich Kim nicht mehr verlassen.
Ein geheimnisvolles Ding ist unsere Seele. Wer bin ich? Ist das auch Ihre Frage, liebe Mitchristen?
Wenn Du jung bist, scheint es leicht zu sein, sie zu beantworten. Du hast innere Kräfte und Fähigkeiten, die auf Entfaltung drängen, Pläne, Visionen, vielleicht Erfolg im Beruf, Liebe im privaten Leben.
Aber irgendwann ist die Grenze der Leistung erreicht. Die Kräfte lassen nach, alles wird langsamer, beschwerlicher. Du wirst vergesslicher, die die Krankheiten mehren sich, am Ende vielleicht Parkinson, Demenz??!!
Wer bin ich dann? Und wovon lebe ich dann?!
Wer bin ich? Was zähle ich? Für wen halten die Leute mich? Genau die gleiche Frage hat Jesus im heutigen Evangelium. Aber er will keine allgemeine Antwort: Die einen halten dich für einen großen Meister, Propheten, andere für einen Star….
Aber das will er alles gar nicht wissen. Er möchte hören, was er seinen nächsten Menschen bedeutet: Ihr aber, für wen haltet Ihr mich?!
Die Frage „wer bin ich?“ löst sich also nur in Beziehung: Wer für dich, für euch? Jetzt kommt aber in der Antwort des Petrus der Glaube ins Spiel. Es geht um mehr als um zwischenmenschliches Beziehungsgeschehen; es geht um die Verankerung des Menschlichen in das göttliche Beziehungsgeschehen. Petrus sagt: Du Christus, der von Gott Gesalbte; Du bist es also der uns zu Gott führt, zu den Füßen den Einen, wie es in der Kim-Geschichte hieß.
Auf dem Hintergrund des Romans von Kipling und des heutigen Evangeliums, finde ich interessant, dass der Papst zum Abschluss seiner Südostasienreise zum interreligiösen Dialog aufgerufen hat. Wörtlich sagte er in Singapour: „Alle Religionen sind ein Pfad, um zu Gott zu gelangen.“ Für einen solchen Satz hätte ich vor einigen Jahren noch Predigtverbot in unserer Kirche bekommen.
Ich glaube das: Jede Religion hat ihren je eigenen Weg zu Gott. Aber mein Weg ist der über Christus, denn ich bin ein Christ, ein Zu-Christus-Gehörender. Er ist für mich die Wahrheit, das Leben, der Weg. Er steht am Ziel meines Lebens am anderen Ufer, nimmt mich an die Hand und führt mich zu „den Füßen des einen Gottes“. Diese Entscheidung für Christus entlastet mich kolossal. Denn ich kann dadurch mit Jörg Zink beten:
„Christus, meine Sorgen überlasse ich Dir. Ich glaube nicht mehr, dass ich mit meinen Sorgen irgendetwas bessere. Meine Pläne lasse ich Dir, ich glaube nicht mehr, dass mein Leben seinen Sinn findet in dem, was ich erreiche mit diesen Plänen. Meine Furcht vor meinem eigenen Versagen überlasse ich Dir, ich brauche kein erfolgreicher Mensch zu sein, wenn ich nur ein gesegneter bin.“ (Jörg Zink)
Eine gute Predigt!
Ich hoffe, dass bei den anderen Religionen der richtige Pfad zu Gott für die Suchenden erkennbar wird. Wenn ich in den Nachrichten aus dem Nahen Osten zuhöre: „Mit Allah werden wir den Feind besiegen“ , fällt es mir allerdings schwer.
Ich bin sehr dankbar für die Rückmeldung und die Möglichkeit meinerseits, darauf zu antworten. In Kiplings Roman Kim, den ich zitiere, geht es allerdings um die Atman-Meditation aus dem Hinduismus, die der christlichen Mystik (z.B. dem Seelenfunkengedanken des Meister Eckhard) sehr nahe ist. Außerdem: Gott sei Dank besteht der Islam nur zu einem geringen Teil aus Islamisten oder gar Dschihadisten. Auch die islamische Mystik und Weisheitslehre haben über die Jahrhunderte unseren christlichen Glauben sehr bereichert.