Predigt vom 12.11.2023 – Laterne und Gewissen

2023-11-12- 32. So.i.J. Mt 25,1-13 –

Laterne und Gewissen

 Liebe Schwestern und Brüder,

Novemberzeit ist Laternenzeit. Laternen auf den Gräbern der Toten, Laternenumzüge bei Halloween, St. Martin, Nikolaus.

Aber was suchen wir mit unseren Laternen?

In manchen pädagogischen Einrichtungen lässt man inzwischen Kinder entscheiden, ob sie lieber Halloween oder St. Martin feiern wollen, ob sie um den Kürbis tanzen oder lieber die alte Geschichte spielen möchten, wo der Soldat auf dem Pferd seinen Mantel mit dem frierenden Bettler teilt.

 Was ist der Unterschied? Bei Halloweenumzügen tritt man fordernd auf:

Süßes oder Saures. Ich will was für mich haben und gibst Du mir nichts, dann bin ich sauer. St. Martin ist das Fest des Teilens. Halloween ist Anmichnahme, Martin Rücksichtnahme. Aber Sankt Martin ist alles andere als liebliche Kinderromantik, Martin ist knallharte wirtschaftliche Herausforderung. Vor Jahren habe ich einmal in der Rede eines Wirtschaftsnobel-preisträgers den Satz gelesen: Will die Weltwirtschaft zum Überleben des Planeten beitragen, dann braucht sie dringend die Sankt-Martins-Mentalität des Miteinanderteilens.

Da bunkern manche Menschen Hunderte von Milliarden, in irgendwelchen Steueroasen. In Kolumbien z.B. gehört 90% des Vermögens 10 Prozent der Bevölkerung. In Deutschland ist das Verhältnis – glaube ich – 60 % zu 10 %.

Wenn die habende Schicht fähig wäre zur St. Martinsmentalität, dann gäbe es von heute auf Morgen keine Armut mehr; dann könnten die Klimaprobleme, die Migrationsprobleme gelöst sein. Es ist auf Dauer töricht so zu leben. Denn Gier macht einsam. Und am Ende seines Lebens muss sich doch jeder fragen: Habe ich mein eigentliches Leben gelebt oder verfehlt? Irgendwann ist es zu spät, dass einem die Geschichte vom Heiligen Martin wieder einfällt oder die aus Matthäus 25 vom Endgericht, in der sich Christus selbst als der am Strassenrand liegende Bettler vorstellt: Ich war hungrig, durstig ohne Obdach, krank, sterbend, und du?…Kapitel 25 ist sozusagen das Grundgesetz des Christentums, die Magna Charta, die Verfassung unseres Glaubens. Was ihr dem geringsten getan, das habt ihr mir getan.

 

Das Gleichnis von den törichten und den klugen Jungfrauen läutet dieses Grundgesetz heute ein. Es fordert uns auf: Lasst eure Laternen brennen. Es will sagen: Achtet auf euer Leben. Schaut, in welche Richtung es läuft. Lasst euer Gewissen brennen. Denn das Gewissen ist die Laterne, die den Lebensweg erleuchtet. Es macht den Weg nicht leichter, aber heller. In einem Roman sagt einmal am Ende seines Lebens ein erfolgreicher Geschäftsmann den Satz: Ich hatte zwar ein Gewissen, doch benutzt habe ich es so gut wie nie. Verloschene Laterne.

 

Novemberzeit Laternenzeit. Das gilt auch im Judentum. Im Mittelpunkt des jüdischen Monats Kislew, der im November beginnt, steht das Chanukka-Licht. Und das gewinnt in der aktuellen Situation hohe Bedeutung in Israel und Palästina. Ich habe hier mal einen Chanukkaleuchter mitgebracht. Es ist kein siebenarmiger, sondern ein achtarmiger Leuchter und ein Ölspeicher, ein sog. Diener. Chanukka heißt zu deutsch Wiedereinweihung. Die Geschichte ist folgende: Vom 4. bis ins 2. Jahrhundert v. Chr. herrschten in Judäa die Seleukiden, eine griechische Herrschaft, die den Jahwe-Kult weitgehend abschaffte. Im Jahre 165 gelang es, sich im Makkabäeraufstand von dem griechischen Joch zu befreien. Als man in den zerstörten und entweihten Tempel zurückkehrte, sah man noch ein einziges Öllicht, das brannte. Es reichte, acht Tage, bis man wieder genug Öl hatte, um den Tempel zu erleuchten. Ein Wunder. Das Chanukka-Licht wird zum Hoffnungslicht. Man hat überlebt, trotz allem. Heute feiern die Juden acht Tage Chanukka und zünden jeden Tag ein Licht mehr an.

Ein Rabbiner sagt: „Es ist nicht nur die Dunkelheit des Abends und der Nacht, in der wir jeden Tag eine Kerze mehr entzünden. Es wird uns erschreckend deutlich gerade in diesen Tagen, dass um uns herum eine tiefe Finsternis des Terrors, des Schreckens und der Gewalt herrschen. Und wie symbolisch ist es, dass wir nun in diesen Tagen die Lichter nicht nur in unseren Synagogen, Gemeindehäusern oder Wohnungen entzünden. Nein, es ist eine Pflicht, zu Chanukka an das Wunder zu glauben und es verbreiten. Wir sollen die Lichter in die Fenster stellen, neben der Haustür entzünden und in aller Öffentlichkeit leuchten lassen. Das Licht unseres Volkes ist nicht mehr auszulöschen.

 

Das Wort Schalom kommt von dem Wort »salem«, das sinngemäß »vollkommen« oder »vollständig« bedeutet. Eine Welt voller Gewalt ist alles andere als vollkommen. Die Prophetien des Jesaja und des Micha sprechen von einer Zeit, in der niemals mehr ein Volk gegen ein anderes das Schwert erhebt und nicht mehr für den Krieg leübt. Das wäre schalem, perfekt. Wir dürfen das Chanukkalicht nicht verlöschen lassen, damit nicht der letzte Schimmer der Hoffnung stirbt, und wir immer wieder aufstehen können.

Und wir Christen? Lassen wir die Laternen unseres Glaubens und unseres Gewissens auch nicht verglimmen und mit dem Chanukkalicht gemeinsam leuchten und sagen wir mit der heiligen Edith Stein auf ihrer Deportation nach Auschwitz 1942: „Jetzt ist mein Platz an der Seite meiner jüdischen Schwestern und Brüder; und an der Seite derer, die ausgeplündert am Strassenrand jeder menschlichen Gesellschaft liegen.“


2023-11-12 als pdf

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