2023-07-09_14._So._ i. J.
Austritt aus der Kirche
Mt 11,25-30
Liebe Schwestern und Brüder,
Ein Schock geht in diesen Wochen durch die katholische Welt: Rekordaustrittszahlen, mehr als 522.000. Ich traf einen Weihbischof. Er hatte seine Erklärung: Das liegt doch alles nur an den Medien, die ein so negatives Bild von der Kirche zeichnen. Ich denke, eben so wenig wie z.B. politische Parteien können wir die Außenwahrnehmung verändern, sondern nur intern nachforschen, was zu diesem katastrophalen Einbrüchen führt.
Für mich ist es der immense Glaubwürdigkeitsverlust, der vor allem mit dem Missbrauchsskandal und der Art, wie die Hierarchie damit umgeht, entstanden ist. Und Glauben, Vertrauen ist doch das Kerngeschäft einer christlichen Kirche.
Beim Klimawandel spricht man von den Kippunkten. Im Verhältnis der Menschen zu ihrer Kirche ist jetzt so ein Kipppunkt erreicht, der Bindungsverlust heißt. Intensive Bindung war immer der Vorteil unserer Kirche, Bindung durch ganzheitliche Bräuche und Rituale, intensive Caritasarbeit und hohes ehrenamtliches Engagement. Analysen zeigen: Menschen mit hoher Bindung sind sehr enttäuscht und gehen. Obdachlos katholisch, das Buch von Regina Laudage ist dafür nur ein Symptom.…
Was ist zu tun? Als Kardinal Marx 2018 dem Papst seinen Rücktritt angeboten hat, da hat er ein Wort des Widerstandskämpfers Alfred Delp zitiert: Die Kirche ist an einen toten Punkt gekommen. Marx gab damit seine Ratlosigkeit zu. Delp empfiehlt der Kirche, Rückkehr in die absolute bedingungslose Kirche der Diakonie und der Caritas. Wörtlich sagt er: Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben … im Dienste des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonst wie kranken Menschen unserer Zeit.
Das ist genau das Bild von Kirche, das das Matthäusevangelium immer wieder entwickelt. Heute zeigt uns Matthäus eine offene Tür und in dieser Tür steht die schmale Gestalt des Nazareners. Er sagt, Kommt, kommt alle, legt alles ab, was euch drückt und zu schaffen macht, lasst es vor der Türe liegen, deine Konflikte, deine Schwierigkeiten, Deine Fehler, die tausend Ängste und Traurigkeiten, lass alles vor der Tür liegen. In die neue Gesellschaft Jesu kann man eintreten ohne jede Vorbedingung, ohne Passwort, Ausweis oder Beichtverhör. Diese ständige Frage: „Bin ich gut genug?“ zählt nicht mehr. Auch die ewigen Minderwertigkeitskomplexe, die Scham, die Lieblosigkeiten und heimlichen Bosheiten, alles vorbei. Auch das andere, das hier als so besonders gilt, zählt in Jesu Gemeinschaft nicht mehr: Die Titel, die Orden, die 1a – Zeugnisse und Zertifikate, der Glanz einer Halskette oder die Höhe einer Mitra, all das interessiert diesen Jesus nicht. Ihn interessieren allein die Person und die Menschlichkeit. Das ist das Herzstück unseres christlichen Glaubens: „Lasst uns gemeinsam sein und alles wird gut.“
All das hat die damaligen Vertreter der Hierarchie der jüdischen Synagoge zum Rasen gebracht: Die Hohenpriester, die Pharisäer, die Schriftgelehrten.
Denn all die überkommenen Gebote und Rituale ihrer Religionsgemeinschaft, ihre Dogmen, ihre Moral wurden damit überflüssig. Man brauchte sie schlicht und einfach nicht mehr im Angesicht praktizierter Nächsten- und Jesusliebe. Aber die Hohenpriester schlugen zurück, wie wir wissen, schlugen ihn ans Kreuz.
Kirche im Sinne Jesu ist also Gasthaus am Weg mit der stets offenen Tür, Zufluchtsort, Ausruhort. Luther würde sagen: Ort der Rechtfertigung, Ort an dem Menschen das Recht zu sich selbst gewinnen und es bei sich aushalten.
Rechtfertigung? Heute würden Paulus und Luther vielleicht von Entlastung sprechen.
Sind wir das als Bildungswerk Die Hegge auch: Gasthaus am Weg, Zufluchts- und Ausruhort, in dem Menschen zu sich selbst finden, um ihr Leben zu bestehen.
Warum braucht man diesen Ort im Delpschen Sinne im Dienst an den Menschen unserer Tage, diesen Ort auf der Hegge? Hier geht es um Bildung, die mündig macht.
Aber die meisten Menschen wollen heute eher Aus-Bildung als Bildung, die es ihnen ermöglicht, schnell Karriere zu machen, Ansehen und Renommee zu gewinnen und viel Geld zu verdienen. Daniel Geudeverts, der vom Chefmanager bei VW zum Bildungsphilosophen wurde, hat den Satz geprägt: Aus-Bildung ohne Bildung führt zu Wissen ohne Gewissen.
Ein Satz, den man groß über diese Bildungsstätte schreiben müsste.
Wohin z.B. Genmanipulationen, Kernforschung und vieles mehr ohne Gewissen führen, das erleben wir doch.
In der überwiegenden Zahl der Seminare an diesem Ort geht es doch immer darum, Fachwissen mit ethischen, spirituellen und humanitären Erkenntnissen zu verbinden und somit in einen ganzheitlichen Rahmen zu stellen im Dienst an den Menschen.
Und darum sagen wir mit Jesus: Kommt auch hierher, ihr werdet Entlastung finden, in dem was eure Seele, euer Gewissen, euer Herz umtreibt.