Predigt vom 2.2.2023 – Mariä Lichtmess

2023-02-02 – Mariä Lichtmess

Rede des Simeon (gehalten mit verbundenen Augen)

Lk 2,22-40

Gestatten, Simeon mein  Name. Ich bin alt, unwahrscheinlich alt, hoch in die 85. Und ich kann euch sagen: Alt sein ist nichts für Feiglinge. Die Knie schmerzen, der Gang müde und schleppend. So lange Jahre gehe ich schon in diesem Tempel ein und aus. Aber ich verliere langsam meine Sinne. Und was noch schlimmer ist: Den Sinn meines Lebens. Was soll ich noch auf dieser Welt?  Ich kann kaum noch hören, die wesentlichen Töne nicht mehr unterscheiden vom dummen Geschwätz. Und meine Augen sind blind geworden. Ich kann nicht mehr sehen…

sehen, wie Menschen mich ansehen, freundlich mit Wärme oder skeptisch, abweisend, kalt?? Wie Menschen mich ansehen, vielleicht auch flehend, um Hilfe bittend, traurig, ohne Hoffnung, mit Angst oder Gleichgültigkeit.. Ich kann es nicht sehen, das Lachen der Kinder, die Fröhlichkeit in ihren Augen

 

Bald wird es Frühling. Ich kann ihn nicht sehen mit seinem stärker werdenden Licht, das die Schnee-glöckchen hervorlockt, die ersten Knospen sich öffnen läßt… ich kann ihn nicht sehen, den Frühling.

 

Aber schlimmer noch als die Blindheit der Augen sind die Schatten auf meiner Seele;

Die Schatten der Trauer über gute Menschen, die gestorben sind und mich allein zurückließen;

Die Schatten über die Brüche, die liegen gebliebenen Konflikte, Missverständnisse und Schuldgefühle,

und dann diese Schattenbewohner meiner Seele, die einfach keine Ruhe geben, Schattenbewohner wie Neid, Eifersucht, Gehässigkeit,Zorn, manchmal sogar Hass, die mich immer noch quälen und in Streit bringen;

man hat mir erzählt, ich sei hier in einem Tempel, in einem Licht-Blick-Tempel; hier dürfe ich all meine Schatten ins Licht stellen, in die Wärme, die Menschenfreundlichkeit und die Zugewandtheit Gottes halten. Darf ich das? Kann ich das?

 

Sie kennen mich, ich bin Simeon. Im Jahre 0 traf man mich im Tempel von Jerusalem. Aber ich bin nicht nur eine historische Gestalt. Ich komme vor in vielen Menschen. Und 1940 Jahre später traf ich vor dem Tempel von Jerusalem eine alte Frau, nein nicht Hannah wie in der Bibel, sondern Else. Sie war aus Deutschland geflohen, weil sie Jüdin war, Else Lasker Schüler. Jetzt saß sie jeden Tag vor dem Tempel. Sie war so einsam und verbittert, voller Heimweh nach Deutschland und klagte Immerzu den Satz: „Es ist ein Weinen in der Welt, als wenn der liebe Gott gestorben wär.“ Gott schien in jenen Zeiten vor 80 Jahren tot zu sein, und die Menschen hatten ihn sterben lassen. Und in ihrem Heimatland stand ein Mann in brauner Uniform und nahm in Anspruch: „Ich bin der Gott von Deutschland, von Europa und bald von der ganzen Welt. Wenn ich lache, lacht der Teufel.“ Die schwarze Sonne der Gewalt und Brutalität herrschte in Europa und nicht die göttliche Sonne der Gerechtigkeit und der Menschenfreundlichkeit. So viele, so blind vor Hass und Gleichgültigkeit.

Das ist lange vorbei und doch wiederholt es sich. Diesmal schrillt die Stimme aus Moskau: Ich bin der Gott von Europa; wenn ich lache, lacht der Teufel.

„Es ist ein Weinen in der Welt, als wenn der Liebe Gott gestorben wär.“ Ja, es ist zum Weinen, auch in unser aller Alltäglichkeit

Es ist zum Weinen, wenn man sieht, wie Menschen so oft demütigend mit Menschen umgehen. Es ist zum Heulen, wenn Menschen übereinander, und nicht miteinander reden. Darum lasst uns in diesem Licht-Blick-Tempel die Schatten der Vergangenheit und der heutigen Zeit in die Sonne der göttlichen Liebe stellen.

 

Ich bin Simeon. Oder bin ich Du oder Du, oder Du, und wieder ich?

Ich bin alt. Der größte Schatten, der jetzt auf meiner Seele lastet, ist die Angst, die letzte Angst, die vor dem Tod. Und ich frage mich. Wer bin ich denn als Mensch? Nur Sternenstaub auf einem kleinen sandkorngroßen Planeten am Rande des Universums, ein Winzling von Leben, der eines Tages in den Fernen des Alls verschwindet? Oder bin ich ein Gedanke Gottes, ein Lichtblick des ewigen Lichts?

Aber was ist das, da hat mich etwas berührt, die Augen geöffnet, die Augen meiner Seele; ein Kind hat mich berührt, jetzt kann ich gehen, sogar sterben, denn die Augen meiner Seele haben Rettung gesehen, ein Licht für alle Menschen; jetzt kann ich gehen.

Das Kind von damals ist lange gestorben; aber es lebt, denn sein Licht brennt, in dir, in dir in mir alten Mann, in uns allen, es brennt, es gibt dir menschliche Wärme, auch in dieser Dunkelzeit, denn es ist ewig.

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