Predigt vom 29.1.2023 – Seligpreisungen

2023-01-29-4.So.i.J.

Seligpreisungen

Mt 5, 1-12a

Liebe Schwestern und Brüder,

die Worte der Seligpreisungen sind wie ein fein geschliffener Diamant inmitten des Neuen Testaments. Was für das Alte Testament die Exodus Geschichte ist, also die Befreiung Israels aus dem Sklavenhaus, dem Konzentrationslager Ägypten, sind diese Worte der Bergpredigt für das Christentum heute, eine Erlösung, eine Befreiung aus Angst, Menschenfurcht, Abhängigkeit an die eigenen inneren Zwänge.

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Was ist gemeint, wenn Jesus sagt „Selig, die arm sind im Geiste“. Selig die Dummen? Nein. In Israel gab es damals die anije ruach. Das sind die Menschen, die sich ihrer Armut, ihrer Armseligkeit vor Gott bewußt sind, die sich auf ruach, den Geist Gottes verlassen. Wobei ruach weiblich ist und eigentlich Geistin heißt. Also müßte es schon am Anfang der Bibel heißen, nicht der Geist, sondern die Geistin Gottes schwebte über dem Chaos.

Die aniji ruach  sind nicht die Ungebildeten, sondern die nicht Eingebildeten. Es sind die Menschen, die sich ihrer Mangelstellen bewußt sind und oft genug schämen, weil sie nicht mithalten können oder wollen im Konkurrenzkampf der Erfolgreichen und Angeber.

Weil sie bescheiden sind, werden sie einst selig sein, also glücklicher als alle anderen. Wieviel glücklicher wäre diese Welt ohne die Einge-bildeten, nur mit denen, die sich ihrer Armseligkeit, ihrer Hilfs- und Trostbedürftigkeit bewusst wären?

Dann sagt Jesus: Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet.

Wenn Trauern, wenn Weinen verboten ist, dann kann auch niemand getröstet werden. Es gibt einen Zukunftsfilm von Jean Luc Godard mit dem symbolischen Namen Alphaville.  Alphaville ist die erste Stadt der neuen Zeit. In ihr leben Menschen wie Roboter. Im Zeitalter absoluter Digitalisierung werden sie beherrscht von einer Computerzentrale.

In Alphaville gibt es keine Gefühle und Motive mehr. Die Bewohner sind Menschen des programmierten Glücks. Fragt man jemand: „Wie geht es Dir?“ so antwortet er stereotyp und mechanisch:

„Mir..geht..es..gut..danke.“ In dieser Stadt ist es verboten zu träumen, traurig zu sein, Lieder zu singen…Aber es lebt in Alphaville noch ein uralter Mann, der erinnert sich  an die Vergangenheit. Er sitzt am Strassenrand  und ruft immerzu mit verzweifelter Stimme: Rettet die Weinenden, rettet die Weinenden. Die Leute sagen: Der ist ein bischen behämmert. Denn in dieser Stadt heißt es nicht mehr: Selig die Trauernden, selig die Weinenden, selig die Gewaltlosen… Hier heißt es nur noch: Selig sind die Funktionierenden.

Aber der Film hat ein positives Ende. Aus Liebe rettet ein junger Mann ein Mädchen aus dieser Stadt. Und dieser eine Funke wirklich gemeinter Liebe lässt das ganze System hochgehen. Und es ist wie bei Lots Frau, die sich umschaut, als Sodom und Gomorrha explodieren. Sie erstarrt zur Salzsäule. Aber das Paar von Alphaville schaut sich nicht um, als die Großrechner durchbrennen und Alphaville in sich zerbirst. So wird die Liebe gerettet.

Selig sind die Funktionierenden. Gibt es das nicht schon lange in unserer Welt, z.B. da, wo Autokraten regieren? In Nordkorea etwa, in China, wo digitale Überwachung bis in die Familien geht oder in Russland, wo man durch alle Städte laufen müsste und schreien sollte: Rettet die Weinen-den. Wenn die Autokraten aller Länder und Wirtschaftssysteme weinen könnten über sich selbst, über den Verlust ihrer Liebe und über ihre armselige Vorstellung von dem, was Leben ist, dann wäre die Welt seliger, glücklicher.

Aber wir brauchen gar nicht so weit weggehen. Selig sind die Funktionierenden. Diese Maxime gibt es auch bei uns in so vielen Lebensbereichen: „Die Traurigen sollen sich mal nicht so anstellen, diese Heulsusen sollen die Arbeitsprozesse nicht stören, die  Armen sind selber schuld, die Sanftmütigen sind Weicheier, für nichts zu gebrauchen. – Selig sind allein die Funktionierenden.“

Aber die Bergpredigt, die Seligpreisungen von der Höhe unseres Herzens gesprochen, bezeugt, dass in all diesen Funktionssystemen der Funke der Liebe nicht erloschen ist. Denn die Pharisäer und römischen Beamten, also die religiösen und politischen Funktionäre haben diesen Jesus zwar gefoltert und getötet, aber gerade dadurch seine Strahlkraft erst recht entzündet. Sie hat bis heute gewirkt in großen Gestalten wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela, die mit der Bergpredigt Politik gemacht haben;  aber auch in Menschen, die trotz Corona Menschen im Krankheitstief nicht im Stich ließen, Lebensmittel nach Charkiw bringen oder dem Kind der allein erziehenden Mutter bei den Schularbeiten helfen. All das geschieht auf dem Berg der Seligpreisungen, also  auf der Höhe des Herzens. An diese Höhe kommen die Armeen Putins und all der anderen Diktatoren  nicht heran.

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