Predigt vom 24.1.2021 – Menschlichkeit

2021-01-24_3._ Sonntag im J.

Menschlichkeit – Mt 1,14-20

Liebe Schwestern und Brüder,

eine der größten Plagen in der Menschheitsgeschichte war immer und immer wieder die Lepra, bis in unsere Zeit hinein; diese entsetzliche Form von Aussatz, die uns auch in der Bibel auf Schritt und Tritt begegnet. Die Kranken wurden völlig isoliert, verbannt in das Tal der Aussätzigen, weil Lepra höchst ansteckend war und ist. Wenn Menschen sich den Aussätzigen näherten, dann mussten sie mit Ratschen oder Kleppern darauf aufmerksam machen. Die Klepper als Messdienerbrauch auf Karfreitag erinnern uns immer noch daran.

Ruth Pfau, die 2017 im Alter von 88 Jahren verstorben ist, war eine deutsche Ordensschwester und Lepraärztin, die im hohen Maße dazu beigetragen hat, dass Lepra heute weitgehend unter Kontrolle ist. In Pakistan erhielt sie den Titel einer Nationalheldin, weil sie dort mit ihrem Team das Lepra-Problem bekämpft und nahezu beseitigt hat.

In einem Interview im deutschen Fernsehen wurde Ruth Pfau einmal gefragt: Wie sind sie zu dieser Arbeit gekommen? Da hat sie erzählt, dass sie als junge Medizinstudentin in den 50-er Jahren diese Riesenstadt Karatschi in Pakistan besucht hat. Sie ging durch die Stadt und sah in elenden Slumgebieten zumeist unter freien Himmel zahlreiche Leprakranken oft qualvoll sterben. Und sie sagte: Da hat es bei mir Klick gemacht und es schoss mir plötzlich durch den Kopf der Satz: „Dafür hat er mich also gemacht.“ Die Reporterin fragte: „Wer hat sie wofür gemacht?“ Ruth Pfau antwortete: „Na Gott, dafür hat er mich in die Welt geschickt, dass ich mich als Ärztin um diese Menschen kümmere.“

Wofür hat Gott mich gemacht? Ist das, liebe Mitchristen, auch Ihre Frage? Von mir kann ich sagen: Mich lässt sie nicht mehr los.

Habe ich in den inzwischen 71 Jahren meines Lebens einen Auftrag Gottes auf dieser Welt erfüllt, oder habe ich ihn verfehlt?

Oder hat Gott mit meinem Leben gar nichts zu tun? Unabhängig davon muss es doch einen Grund geben, dass wir sind. Warum sind wir, und warum sind wir vielmehr nicht?

Naturwissenschaftler können uns heute erklären, wie das Leben entstanden ist. Sie sagen uns:

Leben hat sich auf dieser Erde in einem Prozess über vier Milliarden Jahren langsam entwickelt, angefangen mit einer Zelle über die Entstehung primitivster Pflanzen, die ersten Meerestiere, den Säugern, den Androiden, bis hin zu den Affen, den Primaten und zum Schluss dem homo sapiens.

Aber diese Evolutionstheorie, die heute keiner mehr bestreitet, hat auch eine tragische Seite, die ein Evolutionswissenschaftler so beschreibt: “Mit der Vielzelligkeit in der Entwicklung des Lebens kam der Tod, mit dem Nervensystem kam der Schmerz, mit dem Bewusstsein kam die Angst.“ Wir Menschen sind die einzigen Lebewesen auf dieser Erde, die ein Bewußtsein haben, die also wissen, dass sie leben und leider Gottes auch, dass sie sterben müssen. Dieses Bewußtsein des Todes ist Grund für die Angst und für die Frage: Warum lebe ich überhaupt? Was ist der Grund warum ich bin und vielmehr nicht bin. Ist das der Mensch, einer, der sich eine Zeit lang durchs Leben beißt und am Ende ins Gras beißt, nicht mehr als eine Naturmaschine, die konsumiert und ausscheidet und im Laufe der Jahre immer schwächer wird und verfällt. Nein, das will ich nicht sein; Sternenstaub auf einem kleinen Planeten am Rande des Universums.

Hier kommt die Frage der Ruth Pfau ins Spiel: Wofür hat er mich gemacht? Es gibt einen Grund, warum ich lebe. Ich erfülle einen Auftrag des Schöpfers. Die meisten von uns hätten wahrscheinlich nie Arzt oder Ärztin werden können; sie leben ihren Auftrag anders: als Ehepartner, als Mutter, Vater, Großeltern, als Lehrer, Bauarbeiter, Krankenpfleger, Müllfahrer, bei Aldi an der Kasse als all die Menschen, die in diesen Coronazeiten so unverzichtbar geworden sind?

Das ist unsere christliche Auffassung. Jeder ist für etwas gemacht, womit er zum Menschsein und zum Gelingen des Lebens beiträgt. Das sehen wir auch im heutigen Evangelium. Da geht Jesus am See von Galiläa entlang und trifft auf Fischer, die sich unendlich mühsam mit ihren Berufen abquälen. Zu diesen Menschen sagt er: Kommt mit. Aber er sagt nicht. Kommt, ich will euch zu Priestern oder Bischöfen machen. Er sagt auch zu Petrus nicht: Komm mit, du sollst der erste Papst sein.

Er sagt: ich will euch zu Menschenfischern machen. Das wünscht er wohl von seinen Anhängern, dass sie die Menschen sehn in ihrer Menschlichkeit; das will er von uns, dass wir unsere Kinder, Enkelkinder, die Altenheimbewohner, die Kranken, die lachenden und die weinenden, dass wir sie alle als Menschen sehn und erkennen, wo sie uns brauchen, und wo wir von ihnen gebraucht werden.

Manche Menschen sind Menschenfischer und wissen es nicht:

Manche Menschen wissen nicht,

wie wichtig es ist, dass sie einfach da sind.

Manche Menschen wissen nicht,

wie gut es tut, sie nur zu sehen.

Manche Menschen wissen nicht,

wie tröstlich ihr gütiges Lächeln wirkt.

Manche Menschen wissen nicht,

wie wohltuend ihre Nähe ist.

Manche Menschen wissen nicht,

wie viel ärmer wir ohne sie wären.

Manche Menschen wissen nicht,

dass sie ein Geschenk des Himmels sind.

Dafür hat er uns gemacht, dass wir unsere Menschlichkeit leben.


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