Predigt vom 26.5.2019 – Frieden durch Vergebung

2019-05-26_6._Ostersonntag – Schrifttext Joh 14,23-29

Thema: Frieden durch Vergebung

Liebe Schwestern und Brüder,

im August sind es 70 Jahre her, dass ich in der Landesfrauenklinik in Paderborn geboren wurde. Damals begrüßte mich die Hebamme mit diesen Worten: Herzlich willkommen auf dieser Erde. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, welches Glück Du hast. Erst vor wenigen Wochen wurde das Grundgesetz verabschiedet, die wahrscheinlich beste Verfassung der Welt. Endlich ist Deutschland frei, frei von der Diktatur, von Angst und Verfolgung, von Vernichtung und Bomben, von Rassismus und Krieg. Du darfst ein freier Bürger im freien Land sein. Kannst Du Dir eigentlich vorstellen, welch großes Geschenk das ist, Freiheit,  fragte mich die Hebamme, die ja ganz andere Zeiten bis dahin erlebt hatte, vielleicht sogar Vergewaltigungen.  Ich habe der Hebamme damals nicht geantwortet. Ich konnte ja noch nicht sprechen. Aber heute heißt meine Antwort auf meine Geburt 1949:  Dankbarkeit, nur Dankbarkeit!!!

 

Liebe Mitchristen, wir feiern 70 Jahre Grundgesetz, und wir haben Europawahlen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass radikale Parteien uns die Menschenrechte wieder rauben, dieses Recht auf Freiheit, Gleichbe-rechtigung, Solidarität für die Schwachen, Heimat für die Heimatlosen. Die Freiheit, die mir vor 70 Jahren geschenkt wurde, wurde anderen Deutschen und Osteuropäern erst 40 Jahre später, 1989, gewährt. Was hat sich seitdem in Europa zum Positiven verändert?

 

In dieser Woche erzählte in den Morgenandachten ein Diakon: Als ich vor über 30 Jahren nach Breslau fuhr, war ich entsetzt. Alles grau in grau. Von den Häusern fiel der Putz. Gelb-brauner Rauch liess die Stadt nach Schwefel riechen. Die wenigen Menschen in den Strassen bewegten sich schnell und hielten die Köpfe gesenkt. Ein Leben unter der Glocke der Angst ist ein fürchterliches Leben.

Wenn ich heute nach Breslau komme, ist alles bunt, lebendig, hell. Statt Schwefel riecht man den Duft von Bratwurst, Kotlett oder gebackenen Waffeln. Die Fassaden sind restauriert und farbenfroh gestrichen. Keine gesenkten Häupter mehr, sondern lachende, fröhliche Gesichter.

So hat sich ein Land auch durch die Solidargemeinschaft Europa verändert. Das sollte man sich nicht durch die Populisten stehlen lassen.

 

Der Diakon erzählte, dass vor einer der Kirchen in Breslau die Statue des Bischof Komenik steht, der unter den Kommunisten Bischof von Breslau war. Komenik hatte Kerker, Haft unter den Nationalsozialisten und unter den Kommunisten erfahren. Dieser Bischof hat an der Spitze der polnischen Bischofskonferenz 1965 den Satz formuliert: „Wir vergeben und bitten selbst um Vergebung.“ Dieser Satz gilt uns Deutschen. Waren doch die meisten Opfer der Nationalsozialisten Polen. Über drei Millionen Polen kamen in den Vernichtungslager ums Leben. Mehr als 80 % der ermordeten Priester, wahrscheinlich 2000 an der Zahl, waren Priester. Man ermordete gleich im ersten Kriegsjahr die polnische Intelligenz. Sechs Jahre lang wurde der größte Teil der Ernten der polnischen Landwirtschaft nach Deutschland oder in die deutsche Wehrmacht abgezweigt. Und dann schreiben 20 Jahre später die polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe: Wir vergeben und wir bitten um Vergebung. Ein großartiges Zeugnis für ein lebendiges Europa. Wie groß muss das Herz dieser Bischöfe gewesen sein, jene Gräuel zu vergeben, unter denen das ganze Volk gelitten hatte, und wieviel Demut erfordert es, gleichzeitig um Vergebung bitten zu können, was umgekehrt den Deutschen von Polen an Unrecht angetan worden war, z.B. den vielen Vertriebenen.

So baut sich Europa auf, auf Vergebung und nicht auf Abgrenzung und Schließung der Grenzen.

 

Frieden, der durch Vergebung entsteht, ist auch der Inhalt des heutigen Evangeliums. Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Es kommt auch im privaten Leben selten zum Frieden, wenn man immer nur wartet, dass der andere mir die Hand zur Vergebung ausstreckt. Machen Sie nicht auch die Erfahrung: Wenn ich nicht den ersten Schritt zum Frieden, zur Versöhnung mache, tut ihn keiner. Es bringt überhaupt nichts, zu denken: Ich habe aber das größere Unrecht erlitten. Wenn ich mit dem Frieden beginne, dann macht es in erster Linie mich selbst frei, frei von der Belastung, ständig Menschen etwas nachtragen zu müssen. Und im zweiten Schritt kann es den anderen frei machen.

 

Wir beten für den Frieden,
wir beten für die Welt,
wir beten für die Müden,
die keine Hoffnung hält,
wir beten für die Leisen,
für die kein Wort sich regt,
die Wahrheit wird erweisen,
dass Gottes Hand sie trägt.

als pdf

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.