Predigt vom 5.5.2019 – Hirten-Seelsorge

2019-05-05_ 3._ Ostersonntag

Joh 21, 14-19

Hirten-Seelsorge

Liebe Schwestern und Brüder,

hier in der Almeregion sieht man immer noch Schafherden friedlich auf den Feldern und Wiesen grasen. Wenn die Schafe nicht gerade eingepfercht sind in weitläufige Zäune, dann sieht man sie bewacht von einem Hirten.

Manchmal sehe ich einen Schäfer, der auf einen Stab gestützt seine Tiere wachsam im Blick hat. Ein Schäfer kennt jedes einzelne Tier seiner Herde genau, weiß um dessen Eigenheiten und Marotten. Schier unverzichtbar für die Arbeit des Schäfers: der Hirtenstab. Damit kann er die Herde auf dem Weideplatz leiten, Tiere sortieren, manchmal über den Rücken streichen, wenn ein Schaf besonders unruhig ist.

Der Hirtenstab ist Vorbild für den Bischofsstab, den Stab des Papstes.

Es geht zurück auf die Stelle im heutigen Evangelium. Der auferstandene Jesus nimmt Abschied von den Jüngern und gibt seine Verantwortung weiter, z.B. an Petrus, dem ersten Papst, im heutigen Evangelium. Er sagt ihm: Als Kirche sollt ihr umgehen mit den Menschen wie ein Hirte mit seinen Schafen. Mehr noch so liebevoll wie ein Hirte mit den Lämmern. — Weide meine Lämmer, so der Auftrag an Petrus und seine Kirche.

Der 266. Nachfolger des Heiligen Petrus, Papst Franzskus, nimmt diesen Auftrag sehr ernst. Er sagt, die Kirche unserer Tage muss an die Ränder gehen, den Geruch der Schafe annehmen. Und er geht ja selbst in die Gefängnisse, in die Flüchtlingslager, auf die Krankenstationen, überall dahin, wo Menschen Trost brauchen. – Weide meine Lämmer.

Den Geruch der Schafe annehmen, das ist nicht immer so leicht. In einer meiner früheren Gemeinden hatten wir Heilig Abend immer eine Feier für Menschen, die sonst Weihnachten allein verbringen mussten. Wir luden u.a. dann immer auch Nichtsesshafte von der Strasse oder dem Obdachlosenasyl ein. Manche von ihnen hatten seit Monaten nicht mehr geduscht und rochen nach Alkohol. Geruch der Schafe.

Manchmal sagten dann andere Eingeladene: „Wenn die das nächste Mal wiederkommen, dann kommen wir nicht mehr.“

Ich kann solche Ekelschranken verstehen. Und doch ist die eindeutige Aussage des Neuen Testaments, dass der gute Hirte Jesus Menschen nicht beurteilt nach Geruch, Verwahrlosung, mangelnder Bildung oder hoher Verschuldung, sondern allein nach ihrem Menschsein und nach ihrer physischen und seelischen Bedürftigkeit. Und das Reich Gottes, die Gesellschaft also, die Jesus sich vorgestellt hat, ist eine egalitäre Gesellschaft, eine Gemeinde gleichwertiger Menschen.

Weide meine Lämmer. Der 266. Papst wird nicht müde, diese egalitäre Sicht immer wieder zu betonen,

„Du wirst zur rechten Zeit den Hirtenstab erheben, der allzeit ist bereit, den Herzen Trost zu geben.“ So heißt es in einem bekannten Kirchenlied. Das ist der einzige Sinn von Kirche, von Seelsorgern und von allen Gemeindemitgliedern, einander zu trösten.

Manchmal kehren sich dabei die Verhältnisse um, dass nämlich die scheinbar zu Tröstenden selbst Trost spenden, wie ein Beispiel zeigt, das mir einmal eine Krankenschwester einer großen Klinik erzählt hat:

„Unsere Station war an diesem Tag völlig überfüllt. Wir hatten viele Neuaufnahmen. Plötzlich war es geschehen, dass sich ein Staatsanwalt und ein „Penner“ ein Krankenzimmer teilen mussten. Der Staatsanwalt war kurz vor dem Sterben, und ich wollte den Nichtsesshaften aus dem Zimmer schieben. Dieser fragte erstaunt „Warum?“ Ich erklärte ihm, dass sein Zimmernachbar wohl bald sterben werde. Daraufhin sagte der Nichtsesshafte: „Warum lassen sie mich nicht hier, es ist das Einzige, was ich tun kann.“ Der Obdachlose blieb neben seinem Zimmernachbarn am Bett sitzen, bis der verstorben war. Der Staatswalt hatte keinen anderen Begleiter.“

Das „Einzige“, was dieser Mensch tun kann, ist das Wichtigste, was ein Mensch einem anderen an Trost geben kann: Ihn im Sterben zu begleiten. Offensichtlich hat der Obdachlose bei allem Scheitern seines Lebens noch eine Ahnung davon, was uns im Kern des Menschseins verbindet, und dass wir alle auf dem Weg zu einem gemeinsamen Ziel sind.

„Du wirst zur rechten Zeit den Hirtenstab erheben, der allzeit ist bereit, dem Herzen Trost zu geben.“ Irgendwann wird sich für uns alle der letzte Hirtenstab erheben, und der ewige Gute Hirte wird zu uns allen sagen: Du gehörst auch zu meiner Herde, egal ob reich oder arm, ob obdachlos oder im Prunkpalast… Ihr alle sollt ausruhen können an den Quellen lebendiger Liebe, am Ursprung des Lebens, im ewigen Osterland: Bis dahin weidet meine Lämmer, tröstet euch auf den oft steinigen Wegen eures Lebens. Amen.

als pdf

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.