Predigt vom 18.3.2018 – Fastenpredigt

2018-03-18 Fastenpredigt zum 5. Fastensonntag

Alte Konflikte beerdigen

Joh 12, 2033

Liebe Schwestern und Brüder,

Die Theologin Dorothee Sölle erzählt folgende Erfahrung:

Wir waren einmal auf einer Beerdigung. Ein Freund war gestorben, ganz plötzlich. Am Tage zuvor hatten wir noch zusammengesessen und die gemeinsame Arbeit geplant. Dieser Freund war ein gebildeter Atheist, ebenso seine Frau. Beide waren aus der Kirche ausgetreten. Nun waren wir bei seiner Beerdigung. Stumm saßen wir in der Leichenhalle, zehn Minuten, eine Viertelstunde vielleicht. Dann hoben die Träger den Sarg auf den Wagen. Wir gingen zum Grab. Wir standen noch einige Minuten schweigend dort. Dann gingen wir nach Hause.

Am nächsten Tag war eine Versammlung. Der Versammlungsleiter kam noch einmal auf den Verstorbenen zu sprechen und sagte: „Wir wollen keine großen Worte machen. Ich bitte Sie, sich von den Plätzen zu erheben für eine Schweigeminute.“ Ratlos standen alle da. Keiner wusste so richtig, wohin mit meinen Händen?!

Ich habe diese Beerdigung in schauerlicher Erinnerung. In uns schrie alles: Warum musste dieser Freund so früh sterben? Wir waren voll von Zorn und Trauer. Aber jeder behielt seine Trauer für sich.  Die Trauer fand keine Geste, keine Sprache, kein Lied, keinen Fluch. Und ich frage mich: Kann man darauf verzichten, wenn ein Mensch stirbt: Kann man verzichten auf Klagen, Rühmen, Danksagen, Schreien, Fluchen, Preisen, Loben, auf Beten. Kann man verzichten auf den Satz: Wir vergeben einander, was wir uns schuldig blieben. Ist es möglich, einen Menschen einfach so gehen zu lassen ohne die Hoffnung, dass er irgendwo hinterm Horizont ankommt in einer besseren Welt? Kann ein Leben so klanglos zu Ende gehen, ohne dass man weiß wohin?!?!

Das Evangelium dieses Sonntags erzählt im Bild des Weizenkorns, dass alles, was stirbt und seinen Platz im Erdreich findet , neue Früchte trägt. Das ist die Botschaft einer christlichen Beerdigung: Tot bleibt nicht tot, sondern wendet sich in jeder Hinsicht neu zum Leben. Das ist in der Natur so, das ist im Menschen so, behauptet der christliche Glaube. Bei einer Beerdigung kann man alles begraben, nicht nur den sterblichen Leichnam, sondern auch die unversöhnten Teile seiner Lebens-geschichte, also im Bilde gesprochen, die Leichen im Keller der Seele, all die Konflikte, Missverständnisse und Versagensmomente, die man nicht bereinigen konnte. Man muss nicht mehr nachkarten, nicht mehr nachtragen, man kann all das beerdigen und spürt vielleicht, wie es leichter wird in der Seele, freier, lebendiger. Manchmal schaffen es nahe Verwandte nicht an das Sterbebett z.B. der eigenen Mutter zu kommen. Sie fühlen sich so verletzt von Vorkommnissen, die manchmal schon viele Jahre zurückliegen. Und die Mutter hätte sie so gebraucht, um ruhig sterben zu können. Manche schaffen es nicht mal, zur Beerdigungen zu kommen. Welche Chance verpassen sie, die Konflikte zu begraben, Chance auf Neues Leben. Wenn das Weizenkorn in die Erde fällt, bringt es reiche Frucht. Und wie schwer ist es, verstorbenen Menschen, also imaginären Personen noch immer etwas nachzutragen, das sieht man doch schon bildlich.

Sehr berührt hat mich in diesem Zusammenhang eine Geschichte von dem polnischen Nationalspieler Jakub Blaszczykowski, genannt Kuba, der einige Jahre  bei Borussia Dortmund gespielt hat. Als 10-jähriger hatte er mit ansehen müssen, wie sein Vater im Alkoholrausch seine Mutter erstach. Nach vielen Jahren der Haft war der Vater gestorben. Wie selbstverständlich war Blaszczykowski zur Beerdigung des Vaters gegangen und man sah, dass er intensiv am Grab betete. Verwundert fragten ihn einige, warum er an der Beerdigung teilgenommen hätte nach all dem, was der Vater seiner Mutter und auch ihm angetan hätte, da hat er geantwortet: „Ich glaube an Jesus Christus, der für mich ein Gott der Vergebung ist. Darum muss ich meinem Vater vergeben. Nur so kann ich Frieden finden.“ Das ist der erste Sinn, Konflikte spätestens am Gran zu begraben, der erste Sinn der Vergebung, dass ich bei mir selbst Frieden finde. In meiner Rolle als Priester habe ich einige Male versucht, Angehörige ans Bett eines Sterbenden zu holen. Wenn sie über den eigenen Schatten sprangen und kamen, waren das bisweilen sehr bewegende Momente der Versöhnung. Beide haben Frieden gefunden, der Sterbende und der Angehörige. Aber nicht immer ist das gelungen.  Dann war das Sterben nicht selten auch sehr schwer, weil so vieles daran hinderte, in Frieden gehen zu können. Und die Angehörigen, die noch leben und die die Chance auf ein Leben in Frieden durch Vergebung nicht nutzten? Gehen viele von ihnen nicht belastet durchs Leben, immer noch blockiert durch die Wut, den Zorn auf den Verstorbenen?

Heftige Gefühle müssen nach außen kommen. Auch nach einer Beerdigung brauchen wir Menschen einen Ort zum Klagen, Schreien, Fluchen, zum Fragen und Bitten. Darum ist es wichtig, immer wieder Gräber aufzusuchen, zu sehen, was da z.B. jetzt im Frühling alles aus der Erde kommt, dass nichts tot bleibt, sondern verwandelt wird, auch die unsterbliche Seele ins göttliche Licht hinein. Manchmal legen Trauerbegleiter Trauernden nahe, unbewältigte Dinge, die noch zwischen ihnen und dem verstorbenen stehen, auf einen Zettel zu schreiben, damit zum Grab zu gehen, den Zettel zu vergraben oder zu verbrennen. Auch solche Rituale können befreien.

Mit einem Gebet in Anlehnung an Dorothee Sölle möchte ich schließen:

Lieber Gott, Manche Menschen sind so verzweifelt, dass sie nicht weinen können, sie haben es verlernt, sie bleiben trockenen Auges.

Gott, sieh ihre Traurigkeit, vergib ihnen ihre Versteinerung und sammle die ungeweinten Tränen.

Manche sind verzweifelt, dass sie noch nie einen Freund wie einen Engel gesehen haben.

Sie leben, ohne dass jemand sie fragt: Warum weinst du?

Schicke einen von uns zu fragen WARUM,

warum kannst Du dir nicht vergeben, Dir nicht und deinem Verstorbenen nicht, was ihr einander schuldig bliebet;

Vergebung allein läßt den harten  Stein weich werden, läßt Verkrustungen und Verhärtungen fließen.

Gott lass die Menschen nicht allein vor ihren Gräbern, mit ihren unbewältigten Episoden und dem Gefühl, nichts mehr einholen und gut machen zu können. 

Lehre und lehr uns klagen, lehre uns weinen, lehre uns sprechen und gib uns die Hoffnung des kleinen Weizenkorns, das bereit ist zu sterben, allein um der Tatsache willen, 30-fach, nein sechzig-fach, hundertfacht Frucht zu tragen.

Amen.

als pdf

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.