Liebe Schwestern und Brüder,
in diesen Tagen, da wir uns daran erinnern, dass vor 80 Jahren der 2. Weltkrieg zu Ende ging, fällt mir ein alter Mann ein, dem ich vor einigen Jahren in meiner Gemeinde jeden Monat die Kommunion gebracht habe. Der Mann hatte auf dem Tisch neben der Kerze und dem Kreuz einen Holzlöffel liegen, der sehr grob geschnitzt war. Ich fragte ihn, was dieser Löffel zu bedeuten habe. Da erzählte er mir, dass er einige Jahre in russischer Gefangenschaft in Sibirien verbracht hatte. Er erzählte mir, dass er dort ständig Hunger hatte. Morgens Hunger, mittags Hunger, abends Hunger, immer Hunger. Aber wenn es etwas zu essen gab, erzählte er, dann musste man einen Löffel haben, sonst bekam man nichts mit. Darum habe er sich damals diesen Löffel geschnitzt und er habe ihn immer bei sich getragen. Als er 1949 nach Hause kam, habe er es geschafft, den Löffel mitzunehmen und darum liegt er immer noch da.
Als der Mann ein Jahr später zum Sterben kam, da habe ich ihm die Kommunion als Wegzehrung gebracht, als Proviant für den letzten Weg seines Lebens. Ich habe die Hostie auf diesen Löffel gelegt und ihm ins Ohr geflüstert: Ich reiche Ihnen die Nahrung der Unsterblichkeit auf Ihrem alten Löffel aus Sibirien. Sie soll Ihnen Kraft und Stärkung für den letzten Weg geben, der jetzt vor Ihnen liegt. Mit verschlossenen Augen nickte der Mann noch einmal ganz leicht mit dem Kopf und schlief dann ein.
Heute erinnern wir uns daran, dass Jesus im Angesicht seines unmittelbar bevorstehenden Todes im Kreis seiner engsten Freunde dieses Brot, diesen Kelch als sein Testament hinterließ. Tut dies zu meinem Gedächtnis. In höchster Todesnot ist dies sein Testament. Feiert dieses Mahl und verliert es nie aus dem Gedächtnis. Es bringt euch in Verbindung mit eurem Erlöser, dem Retter der Welt. Dem alten Mann mit der Gefangenschaft in Sibirien, hat dieses Gedächtnis in seiner Todesstunde geholfen. Es hat ihn in Verbindung gebracht, in den Bund Jesu hineingestellt, der ihm am anderen Ufer des Lebens entgegenkam.
Hunger, immer Hunger. Auch heute hungern so viele Menschen, in sibirischen, nordkoreanischen, chinesischen und vielen Lagern und millionenfach in den Dürregebieten der Einen Welt. Ich bin dankbar dafür, dass mein Essen täglich gesichert ist. Aber spüren wir in unserer Luxusgesellschaft diesen anderen Hunger, den Hunger nach dem unendlichen Licht, nach einer Wärme und Geborgenheit, weit über den Tod hinaus? Diesem Hunger nach einem letzten Sinn im Leben kann am Ende keiner ausweichen. Darum ist es so wichtig, das Testament, das Gedächtnis Jesus in unserem Leben nicht zu verlieren.
Das Geheimnis, das das ganze Universum nicht fassen kann, ist heiute in eure Hände, in euren Mund gelegt: Gott im Menschen, Christus in meinem Leben.