Liebe Schwestern und Brüder
Mit dem Schriftsteller Hermann-Josef Coenen möchte ich diese Petrusfrage aufgreifen: Wohin sollen wir gehen?
Wohin? In die Innenstadt nach Galeria Kaufhof, in die Kaufhäuser der City? Da ist in den Regalen der Feinkostabteilungen manches Verlockendes zu finden, das das Leben angenehm auspolstert. Oder ins Internet in die Mediastores. Da kann ich mich stundenlang aufhalten, Videos und Hits herunterladen für viel Geld. Aber ich ahne, was wir suchen, ist für Geld nicht zu kaufen.
Wohin sollen wir gehen? Zu den Gurus der Sekten? Zur Scientology-Church, zu Baghwan oder Moon? Zu den Workshops der Esoteriker über Astrologie oder Reinkarnation? Zu den obskuren Angeboten der Psychoscene wie Feuerlaufen oder Erleuchtung im Fernkurs?
Wohin? In die Apotheke mit ihren Beruhigungsmitteln, zum legalisierten Cannabis, in die Drogenscene? Oder in die Kneipe mit den legalisierten Drogen? Ohne diese Weichmacher ist der Alltag ja kaum zu ertragen.
Wohin sollen wir gehen?
Zur Citybank für einen schnellen Kredit? Zum Reisebüro mit den tollen Sonderangeboten für eine Traumreise in die Karibik, zur Safari in Kenia, oder zum Korallentauchen auf südpazifische Inseln?“
Wohin? Tastend und zögernd, halb gläubig, halb ungläubig, trauen wir uns, mit Simon Petrus zu sagen: „Herr, wohin sonst als nur zu dir? Dein Name ist die Chiffre unserer Hoffnung. Du allein hast Worte und kein Bla Bla, Worte die Taten setzen, und darum ewig, endlos gültig sind und an der Mauer der Endlichkeit nicht zerschellen.
Immer stehen wir vor der Frage: Wohin sollen wir gehen. Z. B. an den Weihnachtstagen oder in der Kar- und Osterwoche? Wohin? Nach Teneriffa oder Mallorca, zur Ayourvedafarm nach Indien? Oder doch in die Dorf- oder Stadtkirche, den Besinnnungstagen in christlichen Bildungsstätten und Klöstern? Menschen müssen selbst entscheiden, was ihrer Seele gut tut oder dem Leben Sinn-Fundierung gibt.
In vielen Jahren meiner Tätigkeit habe ich erlebt, wie z.B. junge Brautpaare kamen und wünschten: Wir wollen zu Jesus Christus gehen und unsere Liebe in seiner Liebe festmachen. Das ist seltener geworden. Warum? Vielleicht, weil wir in unserer Kirche Sakramentalität zu sehr mit dem Kirchenrecht als Zwang der Unauflöslichkeit, als Fessel, aus der Du nicht mehr rauskommst, dargestellt haben? Da sagen die jungen Leute: So eine Ehe wollen wir nicht. Dabei ist Sakrament doch als Erlösung, als Befreiung zu meinem Lebensentwurf gemeint. Wenn Jesus Christus sakramental mit in meinem Lebensbund ist, dann bin ich in der Weise befreit, dass ich nicht ständig zweifeln muss, mich nicht ständig nach anderen Lebensentwürfen umgucken muss. Das gilt auch für das Sakrament der Priesterweihe. Vor 50 Jahren war dies mein Primizspruch: Wohin sollen wir gehen? Nur Du hast Worte für immer.
Der Spruch hat mir oft geholfen, wenn Unsicherheiten, Zweifel aufkommen, wenn andere sich verliebten oder Kinder bekamen. Nein, dein Weg ist der Weg, und er ist mit Christus entschieden. Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht haben Sie das für Ihre Partnerschaften auch so über die Jahre gesehen, oder Sie, liebe Schwestern hier auf der Hegge, für Ihre Gelübde. Wenn Gott mit im Bunde ist, bin ich frei, kann ich diesen Entwurf leben, mich daran gebunden wissen.
Die sieben Sakramente sind sieben Freiheiten, nicht sieben Zwänge. Was für ein Unsinn war das denn, Babies sofort nach der Geburt zu taufen, damit, wenn sie plötzlich sterben, nicht in die Vorhölle kommen, dass Frauen nach der Geburt als unrein galten, dass Paare ohne kirchliche Trauung in Sünde leben und jemand, der ohne letzte Ölung stirbt, die Hölle riskiert. Das hat so viel kaputt gemacht.
Das Leben schreit nach etwas ganz anderem: Am Donnerstag hatte ich einen Einkehrtag mit Mitarbeitenden des stationären Hospizes in Paderborn. Da erzählte eine Schwester: Vor einigen Wochen kam in unser Hospiz ein Mann und sagte gleich am Anfang zu mir: Schwester, hier komme ich ja lebend nicht mehr raus. Sagen Sie mir mal: Wie geht das mit dem Sterben? Die Schwester war sprachlos und gab die Frage zurück: Wie denken Sie denn, wie es geht?
Darauf der Mann: Ich habe ja mein Leben lang nicht gewusst, wie Leben geht, wie soll ich da jetzt wissen, wie das Sterben geht?
Welch eine Aussage!!
Wie geht Leben, wie Sterben? Es geht beides nur in Beziehung. Vielleicht hat dieser Mann im Leben nie wahre, echte Beziehungen kennen gelernt. Aber hier im Hospiz war das anders. Da, wo Mitarbeitende mit jeder Begleitung mit ihrem eigenen Leben konfrontiert sind, da sind Menschen füreinander da, da lesen sie sich von den Augen ab, was der andere braucht. Manche erleben das erst in der letzten Phase ihres Lebens. Deshalb sagt Monika Renz, die zur Zeit bedeutendste Sterbeforscherin aus der Schweiz. Wir sterben in Beziehung. Wohin gehen wir? Wir gehen auf ein Gegenüber. Wir werden von einem Gegenüber angezogen. In tausenden von Protokollen an den Sterbebetten beschreibt Monika Renz das. Und darum möchte ich die Petrusfrage am Ende meines Lebens auch so entscheiden:
Ja, ich gehe an das andere Ufer des Lebens auf diese schmale Gestalt aus Nazareth zu, die sagt: Komm, lass alles hinter dir, was dich belastet an Ärger, Frust, Konflikten und Versagen, lass es einfach fallen, und auch das andere ist nicht mehr wichtig, deine Zeugnisse, Leistungen, Besitztümer, es geht nur noch um das Leben in Fülle, um die volle Wirklichkeit der Beziehung, um Liebe in Vollendung und Allversöhnung. Amen.