Predigt vom 27.03.2022 – Vergebung

Lk 15,1-3.11-32

Vergebung

Liebe Schwestern und Brüder,

Die Philosophin Hannah Arendt hat einmal festgestellt, dass sie das Christentum um die Möglichkeit der Vergebung beneidet und sie stellt die These auf: Vergebung ist der Kern der Freiheit. Man kann von einem Fehler und den Folgen, etwas Falsches zu tun, befreit werden, wenn andere den Fehler verzeihen. Könnten wir einander nicht verzeihen, d.h. uns gegenseitig von den Folgen unserer Taten wieder entbinden, so beschränkte sich unsere Fähigkeit zu handeln gewisserweise auf eine einzige Tat, deren Folgen uns bis an unser Lebensende in wahrsten Sinne des Wortes verfolgen würde. Wenn ich um Vergebung bitte, dann muss ich nicht bis ans Ende meiner Tage mit Schuldgefühlen rumlaufen und anderen Menschen aus dem Wege gehen. Es ist Größe, es ist Freiheit, um Vergebung bitten zu können. Ob diese Vergebung angenommen wird oder nicht, ob jemand auf der anderen Seite Schuld eingesteht oder nicht, das liegt nicht in meiner Hand.

Ich habe in vielen seelsorglichen- und Beichtgesprächen in meiner Praxis so oft gehört: Aber der oder die andere ist doch nicht bereit zur Versöhnung oder in der Lage, eigene  Fehler einzugestehen.  Wenn ich darauf warte, dann lässt mich ein Konflikt oder eine Schuld bis ans Ende meiner Tage nie los.

Das Evangelium des 4. Fastensonntags vom barmherzigen Vater sagt uns, dass Gott wie dieser Vater unsere Vergebungsbitte auf jeden Fall mit offenen Armen annimmt, ganz egal, was in einem Konflikt vielleicht die andere Seite dazu sagt.  Mehr Mist kann man gar nicht bauen, als der verlorene Sohn. Wir tief er auch gesunken ist: Gott hält immer die Arme auf für jeden Anflug von Umkehr, ohne Vorwürfe zu machen.

Vielleicht haben sie am Montag den Fernsehfilm gesehen: Honecker und der Pastor. Pastor Holmer hatte das Ehepaar Honnecker 1990 für zehn Wochen in seinem Pfarrhaus aufgenommen, obwohl das Honeckerregime ihm und seiner Familie sehr geschadet hatte, z.B. keines der 8 Kinder Abitur machen konnte, weil sie bekennende Christen waren.

In einer Szene sitzt Pfr. Holmer in einer Talkshow und begründet seine Entscheidung. Da taucht eine junge Frau auf, die einige Jahre im Jugendwerkhof Torgau, einer brutalen geschlossenen Umerziehungsanstalt, gelitten hatte. Sie erzählt von Missbrauch, Schlägen, Dunkelhaft und alle Formen, um den Willen und Charakter eines Menschen zu brechen. Eine Frau voller Hass. Pfarrer Holmer ist tief betroffen und geht am Ende auf die junge Frau zu, reicht ihr die Hand und sagt: Vergeben sie, sonst verbittern sie und  ihre Lebensgeschichte frisst sie innerlich auf. Die Frau stutzt, überlegt eine Zeitlang und schlägt dann die Hand aus. Sie kann nicht vergeben, und man kann es verstehen. Es wäre ihr zu wünschen, dass sie vielleicht auf anderen Wegen zur inneren Freiheit gefunden hat.

Für mich ist nach diesem 4. Fastensonntag und dem Gleichnis vom barmherzigen Vater immer wieder wichtig, das Vater unser zu beten mit der ständigen Bitte „Vergib uns unsere Schuld.“ Wie vielen Menschen bin ich begegnet, für die eine Vergebung, z.B. in einer zerbrochenen Ehe, von der anderen Seite nicht möglich war. Für manche war es eine Befreiung, sie im Vater unser oder im Sakrament der Versöhnung zu erfahren.

Vergebung ist der Kern der Freiheit. Ich wage nicht zu denken, was das für Menschen in Afghanistan heißt oder zur Zeit in der Ukraine. Mir fiel in diesen Tagen das Tagebuch der Polina Scherebzowa wieder in die Hände. Sie hat als 9-jährige den ersten Tschetschenienkrieg erlebt, voll und ganz den zweiten Tschetschenienkrieg in Grosny, in der Zawjetystrasse. Sie ist unter den Trümmern von Grosny fast umgekommen und hat schwere Handcaps zurückbehalten. Will man wissen, was sich derzeit in Mariupol und anderen ukrainischen Städten abspielt, dann muss man dieses Tagebuch lesen.  2013 hat Polina in einem anderen Buch alle Kriegsverbrechen der Tschetschenienkriege aufgelistet, musste darum fliehen und lebt heute versteckt in Finnland.

Ich weiß nicht, ob Polina jemals vergeben kann, was ihr angetan wurde. Und trotzdem finde ich in diesem Tagebuch eine Verwurzelung in einer  absoluten Dimension des Lebens und damit eine gewisse Freiheit. Einmal diskutiert die 13-jährige mit ihrer ersten Liebe, einem Jungen namens Maga, der sie fragt: „Woran glaubst Du, an Allah oder an Jesus Christus.“ Darauf antwortet Polina: „Ich glaube an Gott, und wie der heißt, ist mir egal.“ Maga will weiter wissen: „Liest du in der Bibel oder im Koran?“ Darauf Polina: „Sowohl als auch, im Koran, in der Bibel und in der Thora.“ Da sagt Maga: „Toll, so kommst du ins Paradies. Und wenn, nimmst du mich dann mit?“

Ich glaube, auch unter den Religionen der Welt haben wir einander viel zu vergeben. Wie der Wiener Theologe Zulehner ist Polina überzeugt: „Es gibt viele Wege auf dieser Welt, aber sie führen alle zu einem Gott und ins selbe Paradies, in Glück.. Tolerieren wir einander die unterschiedlichen Wege und vereinen uns als Schwestern und Brüder im selben Ziel.“


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