Predigt vom 1.12.2024 – 1.Advent

2024-12-01-1. Advent Lukas 21,25-28.34-36

Nawallny – Bleiben Sie wach

Liebe Schwestern und Brüder,

mit der Vision einer totalen Apokalypse, dem Zusammenbruch aller Systeme, der Erschütterung selbst des Himmels und der Erde beginnt der Advent. Die Völker sind ratlos und bestürzt. Sie schauen an diesem Wochenende in diesem Seminar dorthin, wo diese Texte entstanden sind, nach Palästina und Israel. Und wieder ist es so: Ratlosigkeit und Bestürzung überall. Was empfiehlt der Evangelist Lukas in dieser Situation? Wachet und betet! Klingt das nicht lapidar frömmelnd, Rückzug in die Innerlichkeit, Kopf in den Sand stecken. Wie die drei Affen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.

Wachet!

Bleiben sie wach, bleiben sie wach…Das war ein zentraler Ruf in der Lebensgeschichte eines Mannes, der im Februar dieses Jahres in einer Strafkolonie am Polarkreis ermordet wurde, Alexej Nawallny. Weiterlesen

Predigt vom 24.11.2024 – Christkönig

2024-11-24-Christkönig Joh 18, 33b-37

Thema: Kafkaeske Welt

Liebe Schwestern und Brüder,

dieses bald zu Ende gehende Jahr 2024 ist auch das Jahr des Franz Kafka, der vor 100 Jahren mit erst 40 Jahren gestorben ist. Er erfährt eine große Renaissance. Eine Erzählung heißt: „Ein Landarzt“.

„Ein Landarzt wird in der Nacht zu einem jungen Patienten gerufen in einem entfernten Dorf. Es herrschen eisige Kälte und Schneegestöber. Das Pferd des Arztes ist am Vortag an Erschöpfung verendet. Keiner im Dorf will ihm eines leihen. Nur ein wilder versoffener Pferdeknecht gibt sein Pferd. Nach einer abenteuerlichen Fahrt erreicht er den Patienten, einen jungen Mann mit einer tellergroßen Wunde an der Hüfte, die schon voller Würmer ist. Er sieht sofort, heilen kann er diese Wunde nicht. Der Junge flüstert ihm ins Ohr: „Doktor, lass mich doch sterben.“ Aber dann kommen die Angehörigen und die Leute des Dorfes. Der Arzt muss heilen! Wozu ist er sonst da. Und der Arzt denkt: Rezepte schreiben ist leicht, aber sich mit den Leuten verständigen, das ist unmöglich.

Aber die Leute lassen nicht nach: Wozu ist er Arzt, und heilt er nicht, so tötet ihn!

Und wieder denkt der Arzt: So sind die Menschen, immer das Unmögliche vom Arzt verlangen. Den alten Glauben haben sie verloren. Der Pfarrer sitzt untätig zu Hause und zerzupft die Messgewänder. Aber der Arzt soll alles leisten mit seiner zarten chirurgischen Hand.

Der Arzt entflieht schließlich dieser Situation. Zu Hause angekommen, ist seine blühende Praxis verloren. Sein treues Dienstmädchen Rosa ist Opfer des Pferdeknechtes geworden, wohl völlig traumatisiert. Am Ende steht die Frage: Was soll nun werden, so nackt dem Froste dieses unseligen Zeitalters ausgesetzt? (vgl. Kafka, Die Erzählungen, Anaconda-Velag 2024, S.188 ff)

Kafka hat diese Erzählung 1917 verfasst mitten im ersten Weltkrieg, eine wirklich kafkaeske Zeit, mit einem so unsinnigen Krieg. Und heute? Was soll nun werden? Wir brauchen ja nur 1000 Kilometer weiter östlich in Europa gehen: Millionen von Menschen, nackt dem Frost, den Bomben dieser unglückseligen Zeit ausgesetzt. Und Palästina? Unsäglicher Entwurzelung, Vernichtung ausgesetzt. Weiterlesen

Predigt vom 17.11.2024 – Endzeitvision

2024-11-17-33.So.I.J. – Mk 13,24-32

Steht noch dahin“, heißt ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz, das wie kein anderes zum heutigen Evangelium der Endzeitvision passt.

Ob wir davonkommen ohne gefoltert zu werden,

ob wir eines natürlichen Todes sterben,

ob wir nicht wieder hungern, Abfalleimer nach Kartoffelschalen  durchsuchen,

ob wir getrieben werden in Rudeln, wir haben’s gesehen.

Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache lernen,

den Nächsten belauern, vom Nächsten belauert werden,

und bei dem Wort Freiheit weinen müssen.

Ob wir uns fortstehlen rechtzeitig auf ein weißes Bett oder
zugrunde gehen am hundertfachen Atomblitz,

ob wir es fertigbringen mit einer Hoffnung zu sterben,

steht noch dahin, steht alles noch dahin.
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