2020-09-13-24.-So.J. – Leben im Einklang
Mt 18, 21-35
Liebe Schwestern und Brüder,
jeder von uns, der älter ist als 25 Jahre, weiß wahrscheinlich genau, was er gestern vor 19 Jahren ungefähr um diese Zeit gemacht hat.
Am 11. September 2001 waren insgesamt vier Flugzeuge von Terroristen überwältigt worden, zwei trafen das World Trade Center in New York, eins das Pentagon in Washington. Das war nach amerikanischer Zeit ca. 08.30 Uhr, nach unserer Zeit 14.30 Uhr. Was geschah mit dem vierten Flugzeug? Es sollte den Regierungssitz des Präsidenten in Washington, das Weiße Haus zerstören. Warum kam es nicht dazu?
In diesem Flugzeug hatten sich nach dem Kidnapping vier mutige Passagiere verständigt, die Terroristen anzugreifen. Allen voran der 32-jährige Todd Beamer. Um 9.45 Uhr rief Todd Beamer über Bordtelefon eine Telefongesellschaft an und erfuhr von der Telefonistin Lisa Jefferson, dass da schon die Flugzeuge in die Türme von New York eingeschlagen waren. Er berichtete der Frau seinerseits, dass die Maschine in der Gewalt von Terroristen war, die wahrscheinlich das Gleiche planten wie die in den anderen Flugzeugen. Sie erkannten, das Schlimmste steht bevor. Da begannen beide über Telefon zu beten, Todd Beamer im Flugzeug und Lisa Jefferson in der Telefonzentrale. Und sie beteten Psalm 23, den vom guten Hirten: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Muss ich auch wandern durch Todschattenschluchten, ich fürchte kein Unheil…denn du bist bei mir, mich zu trösten“ Beamer erzählte ihr, dass er und drei andere Männer sich entschlossen hatten, die Entführer anzugreifen. Zum Schluß bat er seine Gesprächspartnerin, seine Frau anzurufen, die im Januar 2002 ihr drittes Kind erwartete. Lisa hörte noch, wie Beamer sagt: Allright boys, seid ihr bereit?“ Dann hörte sie nur noch ein Rumpeln und Poltern. Und dann Totenstille. Später wird man die abgestürzte Maschine in Pittsburgh in Pennsylvania finden, wo die Toten des Absturzes zu beklagen waren, die sich geopfert hatten, um den Anschlag auf das Weiße Haus in Washington zu verhindern?
Als ich diesen Bericht zum ersten Mal in der Rheinischen Post las, da war ich tief berührt und habe mich gefragt: Was hättest Du in einer solchen Situation getan? Ich glaube, ich wäre vor Angst erstarrt und hätte mich nicht mehr rühren können. Was gab Todd Beamer und den anderen Jungs die Kraft, aus ihrer Angst aufzuwachen und sich auf die Terroristen zu stürzen. War es Mut, innere Stärke? Aber woher kommt die? Bei Todd Beamer kam sie aus der Begegnung mit Gott. Er wusste genau: Vor mir liegt die Todschattenschlucht meines Lebens. Aber er hat das feste Vertrauen: ich bin in dieser Schlucht des Todes nicht allein: Du, Gott, bist bei mir, mich zu trösten.
Leben im Einklang, heißt das Thema dieses Gottesdienstes. Weil Todd Beamer erkannte: Ich lebe im Einklang mit einer Wirklichkeit, die viel größer ist als ich, im Einklang mit Gott meinem Schöpfer, kann ich alles riskieren; denn ich bin im Leben und im Tod geführt.
Darum muss endlich Schluss sein mit der Mentalität nach mir die Sintflut, sagt die Ökumenische Gemeinschaft aller christlichen Kirchen. Jeder Einzelne ist verantwortlich für das Ganze. Es gilt nicht mehr sich rauszuhalten nach der Methode „Ich kann ja doch nichts machen. Und Deutschland ist ja nur mit 2 % an der Klimaerwärmung beteiligt.
Hätten Todd Beamer und seine Jungs so gedacht „Ich kann ja doch nichts machen“, es wären nicht unzählige Menschenleben im Weißen Haus gerettet worden.
Der Benediktiner Anselm Grün schreibt in seinem neuesten Buch Quarantäne: „Die äußeren Umstände der Coronazeit fordern uns auf, uns zu wandeln, den Lebensstil zu ändern nach der Devise „Weniger ist mehr“.“ Aber woher den Mut nehmen, das Wagnis des Weniger, des Verzichts einzugehen? Aus der Tiefe des Gebets, aus dem Vertrauen, dass letztlich mein Leben wie bei Todd Beamer aufgehoben ist in der großen Hand Gottes? Coronazeit ist Zeit, darüber nachzudenken, denn Coronazeit ist Zwischenzeit. Dazu habe ich gestern einen Text verfasst:
Zwischenzeit
Wir kamen aus vollen Stadien
und leben jetzt mit Geisterspielen
wir sind um die halbe Welt gereist
und wandern nun im Sauerland
wir haben geschlemmt in exquisiten Lokalen
und essen wieder Brot mit Rübenkraut
wir liebten den Rausch der Geschwindigkeit
und fahren doch so gerne Fahrrad
wir suchten das schmerzlose Leben mit Pillen und Betäubung
und begehren nach Entgiftung und Natürlichkeit
wir vertrauten der Technik über alle Maßen
und spüren wieder die Liebe zum Wald und zum Bach
wir verpesteten die Winde mit Emissionen
und suchen nun die klare Luft für den Atem
wir verdreckten die Wasser und ließen Fische sterben
und schätzen jetzt die Klarheit der Seen und Meere
wir bewegten uns auf Traumschiffen und vergaßen zu träumen
und folgen doch so gerne unseren Träumen und Visionen…
Corona-Zeit ist Zwischen-Zeit,
Zeit von HEUTE
zwischen gestern und morgen
zwischen Eigennutz und Nächstenliebe
zwischen dieser Welt und Seiner Welt
Zwischenzeit
Zeit zu wandeln
Das Denken und Handeln,
zu vertrauen auf den,
der sich immer noch nennt
Ich-bin-da, auf den, der sagt:
Ich bin der DA-ZWISCHEN,
zwischen Mensch und Mensch,
zwischen Geschöpf und Schöpfer
die ganze Lebenszeit eine Zwischenzeit
zwischen Erde und Himmel
Vergangenheit und Zukunft