2025-02-09-5.So.i.J. Lukas 5,1-11
Scheitern
Liebe Schwestern und Brüder,
„Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es wieder. Scheitere wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser.“ Diese Worte des Nobelpreisträgers Samuel Becket mögen einem einfallen bei der Erfahrung des heutigen Evangeliums: „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Klagt Petrus.
An der westafrikanischen Küste in Ghana gibt es ein kleines Fischerdorf. Eikwe heißt es und liegt im Bezirk Takoradi. Da leben die Menschen vom Fischfang. In kleinen Holzbooten fahren sie hinaus, Boote, die aus der Ferne wie Nusschalen wirken.
Oft kommen sie nach harter Nachtarbeit erst am anderen Morgen zurück und bringen nur einen kleinen Eimer voll Fische nach Hause. Früher, so erzählte mir ein alter Fischer, waren die Fischgründe hier so reichhaltig, dass die Fische fast von selbst auf unsere Tische marschierten. Aber seit den 90er Jahren sind die Fangflotten draußen auf dem Meer so zahlreich geworden und haben ihre Netze so engmaschig gemacht, dass für uns nicht mal die kleinen Fische übrig bleiben. Da draußen dringen Trawler immer wieder illegal in die 12-Meilen-Zone ein. 80 % der so gefangenen Fische werden in die EU exportiert. Für uns bleibt so gut wie nichts mehr. Jeden Tag, jede Nacht neu versucht. Immer gescheitert…
Darum ist man auch in dem Dorf Eikwe dazu übergegangen, starke junge Männer nach Europa zu schicken, damit sie da genug Geld verdienen, um die Familien in dem Heimatdorf zu ernähren. Man hat im Dorf das letzte Geld zusammengekratzt, damit diese Migranten die Schlepper in der Wüste und auf dem Mittelmeer bezahlen können. Aber dann scheitern sie wieder, diese jungen Männer; abgelehnt, zurückgeschickt als Wirtschaftsflüchtlinge. Wenn sie es schaffen, wieder in ihr Dorf zurückzukommen, dann ist die Enttäuschung riesig; die Männer, einst stolze Fischer, sind jetzt gescheiterte Existenzen, Versager, haben ihr Renommee, ihre Würde verloren. Aber die Fische von der fischreichsten Küste der Welt, die ihnen eigentlich gehören, die schaffen es über alle Grenzen und finden sich als Thunfisch, Makrelen, Barsch, Hering in unseren Supermärkten wieder.
Immer versucht. Immer gescheitert. Petrus sagt im Evangelium zu Jesus: Auf dein Wort hin will ich es noch mal versuchen. Die kleinen Holzboote in Eikwe sind meistens sehr bunt bemalt und mit Symbolen verziert, den sog. Andrinkazeichen, einer Symbolsprache des großen Stammes der Ashanti in Ghana und an der Elfenbeinküste. Ganz oft sieht man auf den Booten das Zeichen Niame, except God, Gott allein, auf ihn vertraue. Immer wieder haben sie auch Jesussprüche aus der Bibel auf die Boote geschrieben, z.B. Jesus, unser Erlöser. Wenn ich die Geschichte vom reichen Fischfang im Lukasevangelium höre, dann fallen mir Eikwe ein und all die Nachbardörfer entlang der ghanäischen atlantischen Küste. Ich sehe das Vertrauen dieser Menschen, mit dem sie es immer und immer wieder versuchen und scheitern, scheitern, scheitern. Sie haben auf Gott und auf Jesus vertraut und sind doch gescheitert. Aber merkwürdigerweise machen sie Jesus dafür keinen Vorwurf.
Eine Grundfrage an diesem Wochenende lautet: „Wohin steuert die Demokratie, wohin unsere Gesellschaft, wenn die Religion keine Resonanz mehr erzeugt?“ Ich kann hier nicht einstehen für die Resonanzbereitschaft der Fischereikonzerne oder all der anderen globalen Wirtschaftsunternehmen oder der Parteien in unserer Demokratie so kurz vor der Wahl. Für mich persönlich kann ich aber fragen: Was sagt mir diese Erfahrung mit den Fischern von Eikwe auf dem Hintergrund des heutigen Evangeliums? Und dann verstehe ich diese Erzählung als eine Symbolgeschichte. Es geht darin auch um mein persönliches Leben. Von Bedeutung ist mir dann der Satz Jesu: Wirf dein Netz, also dein Lebensnetz an der Stelle aus, an der es tief ist. Also fahr mit deinem Leben nicht immer an der Oberfläche dahin, sondern geh in die Tiefe. Da scheitere ich auch so oft. Es gelingt so schwer, bei sich selbst zu sein, hinabzusteigen in den Brunnen des eigenen Bewusstseins und sich zu fragen: Was bewegt dich denn da? Was ist der Sinn deines Lebens, was lebt da auf dem Grund deiner Seele; vielleicht ist es ein ganz anderer Reichtum als der auf deinem Bankkonto.
Und dann merke ich wieder, dass ich gerade in der Tiefe, auf dem Grund meiner Seele tief berührt bin von den Menschen in diesem kleinen westafrikanischen Dorf, die mir nicht übel nehmen, dass ich wieder zurückfliege in meinen europäischen Wohlstand und keinen von ihnen mitnehmen kann, dass ich hier deren Fisch im Supermarkt kaufe,
berührt bin von diesen Menschen, die mich anstecken mit ihrer Fröhlichkeit, ihrer Zufriedenheit trotz allem, ihrer intensiven Art, Gottesdienst zu feiern und zu tanzen.
Es geht auch um diese Menschen, wenn das Erzbistum Paderborn zu den Wahlen die Kampagne startet: WIR SAGEN ZUSAMMEN:HALT! Das Erzbistum lädt alle Engagierten und Interessierten ein, gemeinsam sichtbare Zeichen für Frieden, Demokratie, Menschenwürde und Nächstenliebe zu setzen – und „Halt!“ zu sagen zu Rechtsextremismus, Diskriminierung, Ausgrenzung und Benachteiligung.