2025-01-06-Dreikönige – Matthäus 2,1-12
Die niedergelegten Kronen
Liebe Schwestern und Brüder,
in der Kapelle Hillige Seele bei Paderborn, wo ich in der Silvesternacht um 24.00 Uhr Gottesdienst gefeiert habe, gibt es in der Krippendarstellung keine Figuren der Heiligen Drei Könige. Da liegen nur ihre Kronen. Es sieht so aus, als hätten die Könige die Kronen vor dem Kind abgelegt und seien dann verschwunden. Ich finde das ein starkes Symbol. Welche Kronen haben die Könige abgelegt? Die schwere Krone des Wissens, der Wissenschaften, mit denen sich diese Magier befasst hatten? Die Krone der grenzenlosen Macht der Politik und des Geldes? Die Krone von Prestige, Renommee, Ansehen mit einer Portion Eitelkeit? All diese Kronen haben ihren Glanz und ihre Energie verloren, müssen sich beugen vor der Erbärmlichkeit eines Stalles und dem im Elend geborenen Kindes, der nackten Menschlichkeit.
„Nichts soll dich ängstigen nichts dich erschrecken, alles vergeht, Gott der besteht.“ Sagt Theresa v. Avila. Diese Krippendarstellung sagt mir: Aller Glamour vergeht, wir ahnen schon, dass eines Tages unsere ganze amerikanisch-europäische Wohlstandskultur den Bach runtergehen könnte. Aber diese Gott-Mensch-Verbindung im äußersten Elend am Rande der Welt, die ist unzerstörbar. Unser je individuelles menschliche Dasein ist nicht zu vernichten, weil es göttlich ist. Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gott wird, so sagt es Meister Eckhart. Vor fast 100 Jahren, als er in einer ganz tiefen Lebenskrise war, hat der englische Dichter T.S. Eliot, das Gedicht „Reise aus dem Morgenland“ geschrieben, in dem er die Dreikönigsgeschichte existentiell als Weg des Menschen deutet.
„Wohl einen kalten Anweg hatten wir,
War grad die schlimmste Zeit im Jahr
Für eine Reise, eine so lange Reise:
Die Wege tief, das Wetter harsch,
Mitten im ärgsten Winter.
Und die Kamele fußkrank, wundgelaufen, mürrisch,
Legten sich in den Schnee, der ringsum schmolz.
Dann die Kameltreiber, fluchend und schimpfend,
Die uns durchbrannten, sie wollten was zu trinken sehn und Weiber;
Und die Nacht-Feuer, die ausgingen, und fast nie ein Obdach,
Und die Städte feindselig, die Plätze unfreundlich,
Die Dörfer verschmutzt und überteuert:
Wohl kam uns die Zeit schwer an.
Zum Schluß reisten wir lieber übernacht,
Nur ab und an schlafend,
Mit den Stimmen im Ohr,
Dass all dies Wahnsinn sei.
Dann, im Morgengrauen, stiegen wir in ein Tal ab,
und kamen an eine Schenke mit Weinlaub überm Türsturz,
Sechs Hände an der offnen Tür, würfelnd um Silberlinge,
Und leere Weinschläuche, Fußtritte fangend.
Doch es gab keine Auskunft, und wir zogen weiter
Und trafen am Abend ein, fanden den Ort,
Kamen noch grad zurecht; und es ging (darf man sagen) gut ab.
All das liegt weit zurück, ich erinnere mich.
Und würd es wieder tun, doch schreibt
Dies schreibt nieder
Dies: Wurden wir den weiten Weg geführt,
Zu Tod oder Geburt? Sicher, da war eine Geburt,
Wir hatten die Gewähr und waren frei von Zweifel.
Mir war Geburt und Tod vertraut,
Doch hatte ich sie für Verschiedenes gehalten; diese Geburt war uns
Ein harter, bittrer Heimgang, so wie ein Tod, wie unser Tod…“
Eliot war damals ca. 38 Jahre alt und fragt sich: Ist dieser ganze Lebensweg nicht totaler Wahnsinn? Soviel Ablehnung, Unfreundlichkeit, sogar Feindschaft, so viele Wunden, schneidige Kälte, Fußtritte. All das ist Wahnsinn. Aber irgendwie kommt man an ohne alle Illusionen und fragt sich dann: Wurden wir den Weg geführt? Von einer unsichtbaren Hand? Und ist dieser Weg des Lebens ein Weg zu einer Geburt oder zu einem Tod? Sind sie etwas Verschiedenes, oder sind sie das Gleiche, der Tod eine Geburt?
T.S. Eliot ließ sich nach diesem Gedichtband taufen. Offensichtlich war er vorher ungläubig.
Liebe Schwestern und Brüder, ist unser Leben eine Reise aus dem Morgenland, eine Reise aus dem Morgen des Lebens in den Abend des Lebens, der dann doch wieder zum Morgen wird? Ich kann auf solche Glaubensfragen nicht mit Theorien, immer nur mit Erfahrungen antworten. Die heftigste Erfahrung in meinem beruflichen Leben war, als vor Jahren in meiner damaligen Gemeinde eine fünfköpfige Familie, Vater, Mutter, zwei Mädchen, ein Junge, auf der Autobahn schwer verunglückten. Der Vater und die zwei Mädchen starben noch am Unfallort. Über Nacht waren von fünf Menschen nur noch zwei da. Sie wollten in den Urlaub fahren. Der Vater hatte sich am Tag zuvor noch eine Bibel gekauft und am Abend vor dem Unfall in der Bibel gelesen und darin vier Stellen angestrichen. Ich nenne die ersten beiden. Die erste war aus der Dreikönigsgeschichte der Satz: „Als sie aber den Stern sahen, erfüllte sie große Freude.“ Die zweite Stelle war aus dem Evangelium zu Lichtmess und hieß: „Nun lässt Du Herr Deinen Diener gehen…denn meine Augen haben das Heil gesehen.“
Hatte dieser Mann eine Vorahnung? Weshalb streicht er den Stern an und die große Freude? Ich weiß es nicht. Die Überlebenden, die Mutter und der Sohn, wurden von der damaligen Gemeinde stark aufgefangen. Die Frau hatte diese vier Schriftstellen kalliographisch gestalten lassen und sie im Wohnzimmer aufgehängt. Die beiden zogen sich nicht zurück. Immer wieder sprachen sie in Vorträgen und Gesprächen über ihr Schicksal und standen zu ihren Glauben, dass der Tod ihrer drei Familienmitglieder für sie eine Geburt war.