Predigt vom 17.11.2024 – Endzeitvision

2024-11-17-33.So.I.J. – Mk 13,24-32

Steht noch dahin“, heißt ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz, das wie kein anderes zum heutigen Evangelium der Endzeitvision passt.

Ob wir davonkommen ohne gefoltert zu werden,

ob wir eines natürlichen Todes sterben,

ob wir nicht wieder hungern, Abfalleimer nach Kartoffelschalen  durchsuchen,

ob wir getrieben werden in Rudeln, wir haben’s gesehen.

Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache lernen,

den Nächsten belauern, vom Nächsten belauert werden,

und bei dem Wort Freiheit weinen müssen.

Ob wir uns fortstehlen rechtzeitig auf ein weißes Bett oder
zugrunde gehen am hundertfachen Atomblitz,

ob wir es fertigbringen mit einer Hoffnung zu sterben,

steht noch dahin, steht alles noch dahin.

Werden wir noch erleben, worunter unsere Eltern, Großeltern zu leiden hatten: Kriege, Hungersnöte, diktatorische Regime, oder werden wir bis ans Ende unserer Tage weiterleben im Wohlstandsparadies und sterben im weißen Bett? Und wie ergeht es unseren Kindern? Enkelkindern? Belauern und belauert werden, wieder Stasi, Gestapo, oder russischer FSB, der bereits unterwegs ist in unserem Land? Steht noch dahin. Keiner weiß, was die Zukunft bringt.

In der Bibel, im heutigen Evangelium ist vorausgesagt: „Eines Tages wird die ganze Welt in ihren Grundfesten erschüttert, Sonne und Mond werden sich verfinstern die Sterne vom Himmel fallen, eines Tages werden Eure ganzen Sicherungssysteme zusammenbrechen“. Da geht es nicht allein um Endzeitvisionen, um den Jüngsten Tag.

Zusammenbrüche werden uns doch fast täglich frei ins Haus geliefert durch die Medien. Erdbeben-Flut-,Sturmkatastrophen. Wir erleben wie immer mehr erratische und autokratische Politiker die Macht über die Welt in ihren Händen halten, teilweise sogar in der Nähe von roten Atomknöpfen sitzen oder andere Untergangs-Szenarien veranstalten.

Wir sind uns dann so schnell einig zu sagen: Ich kann ja doch nichts machen als kleiner Erdenbürger. Oder doch?

Ich finde es sympathisch, dass Sie sich an diesem Wochenende mit Strategien gegen Stammtischparolen beschäftigen. Ich sehe schon, wie wir zu Weihnachten wieder in unseren Familie- und Freundeskreisen zusammensitzen teilweise mit Menschen, die wir lange nicht gesehen haben. Es wird vielleicht eifrig diskutiert. Plötzlich tauchen Meinungen auf, die mir gar nicht gefallen, wo ich innerlich denke: Oh Gott, wie kann man das nur vertreten? Aber ich sage nichts. Um des lieben Friedens willen verschweige ich meine Position. Schließlich ist ja Weihnachten, das Fest des Friedens. Da legt sich dann so eine bleierne Sprachlosigkeit über diese Treffen, und Kommunikation bewegt sich nur noch in Small Talk und Banalität. Dass an der Basis der bisweilen schmerzende Diskurs nicht mehr stattfindet, ist wahrscheinlich ein Grund für das Erstarken von extremen politischen Richtung. Manche Politologen sagen sogar: Der Hauptgrund.

Dabei hat das mit weihnachtlichen Frieden gar nichts zu tun. Hätte der da geborene Friedensfürst Jesus von Nazareth sich selbst den Mund verboten, dann wäre er sicher nicht wie ein Schwerverbrecher hingerichtet worden. In einer südamerikanischen Basisgemeinde sah ich ein Kreuz mit einem Jesus, der seine Arme weit ausgebreitet vom Kreuz gelöst hatte, als wolle er die ganze Welt umarmen. Darunter stand der provozierende Spruch: „Er hätte seine Hände auch falten können, dann wäre ihm nichts passiert.“ Die Leute der Basisgemeinde wollten nicht die Bedeutung des Gebets schmälern. Im Gegenteil. In der Bibel sieht man Jeus immer wieder im Gebet. Der Kontakt zum Vater ist seine entscheidende Kraftquelle. Hinter diesem Kreuz stand der damalige Kampf der Basisgemeinde, der Kirche der Befreiung mit der kirchlichen Hierarchie, die wollte, dass man sich in die Sakristeien, Kirchenräume, einseitig nur in Gebet und Liturgie zurückzog und die Politik anderen überließ. Hätte Jesus so gedacht, hätte er nur gebetet, und nicht den Mund aufgemacht, sogar gegen die priesterliche und pharisäische Hierarchie so richtig auf den Putz gehauen, dann wäre ihm wirklich nichts passiert.

Frieden ist alles andere als Friedhofsruhe. Frieden ist lebendig, oft genug gewaltloser Kampf. Die kommende Adventszeit ist voll von solchen Nicht-Schweigern, den Propheten des Alten Bundes von Amos bis Jesaja, des neuen Bundes von Johannes dem Täufer bis Petrus, oder der Moderne von Mahatma Gandhi, den vielen Martyrern des Nationalsozialismus bis zu Martin Luther King , Nelson Mandela, Oskar Romero oder wenn sie wollen auch Alexej Nawallny. Die meisten von ihnen waren intensive Beter. Das Gebet gab die Kraft zum Widerstand. Hätten sie geschwiegen, dann wäre ihnen auch nichts passiert. Aber dann wäre die Welt noch erbärmlicher als sie es ohnehin schon ist.

Gebet an den Martyrer Südamerikas, Bischof Romero, Anwalt der Armen, der 1980 hinter dem Altar von Regierungsbeamten erschossen wurde:

Heiliger Romero,

Hirte und Märtyrer Amerikas,

armer Hirte, gemordet für Geld,

für Dollars, für Devisen,

wie Jesus, auf Anordnung

des Imperiums,

Heiliger Romero, Du hast

die Armen begleitet,

die so verwundet und

verzweifelt an dich glaubten,

Du hast mit ihnen geweint

Wie Jesus im Garten von Gethsemane,

und weil du lebtest, was Du sagtest,

hatten deine Worte größere Kraft als

die mächtigen Glocken einer Kathedrale.

Heiliger Romero,

Du hobst den Kelch des Altares,

und er wurde für dich der Kelch des Blutes,

vergossen für so viele Menschen in deinem

Volk von El Salvador.

Romero,

heiliger Amerikas, Du unser Märtyrer,

niemand wird deine letzte Predigt

je zum Verstummen bringen,

in der Du den Soldaten verbieten

wolltest, nie wieder auf einen

Menschen zu schießen.

Heiliger Romero,

Märtyrer des Friedens.


pdf

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..