Liebe Schwestern und Brüder,
Wachet Auf!
Mit diesem Aufruf beginnt auch die Adventszeit 2024. In weiten Teilen war dieses Jahr ein Schreckensjahr, bis zu den politischen Ereignissen im Monat November. Im Februar wurde in der unmenschlichsten Strafkolonie am Polarkreis Alexej Nawallny ermordet, der Antikorruptionskämpfer und Oppositionsführer Russlands.
Jetzt ist seine Autobiographie erschienen, wie er sie in Deutschland 2021 begonnen und mit den Tagebuchaufzeichnungen aus dem Gefängnis fortgesetzt hat.
Nein, Bleiben Sie wach, Bleiben Sie wach….
Das waren die letzten Worte einer Frau im Flugzeug, die er am 20. August 2020 nach dem lebensgefährlichen Nowitschok-Anschlag auf ihn hörte. Zur Genesung war er später in Deutschland in Sicherheit und ging 2021 freiwillig nach Russland zurück, um – wie jetzt zu lesen ist – im Widerstand glaubwürdig zu bleiben. Er wusste, dass er in der Haft sterben würde. Schlimmste Bedingungen waren das. Er verbrachte in den Jahren bis Februar 2024 allein 300 Tage in Einzel-Straf-Haft in einer „Hundehütte aus Beton“, die auf direkten Befahl aus dem Kremel angeordnet wurden für Lächerlichkeiten wie z.B. einen weggeplatzten Knopf auf seiner viel zu engen Jacke.
Aber all das konnte ihn nicht brechen. In den Aufzeichnungen schreibt er immer wieder: „Ich muss aufpassen, dass ich nicht verbittere und in Zynismus verfalle.“ Er hält sich fest an der Liebe zu seiner nicht weniger beeindruckenden Frau, der Hoffnung auf Veränderungen in seinem Land und schließlich auch an seinem Glauben. Er beschreibt, wie er im Hungerstreik seine Begeisterung für Jesus und die Bergpredigt entdeckt hat, vor allem für die Zusage: „Selig, die hungern nach Gerechtigkeit, denn sie werden satt.“
Ein Mithäftling hat ihm heimlich eine kleine Ikone vom Erzengel Michael, dem Patron Russlands, zugesteckt, die er immer bei sich trägt und sich daran stärkt. Dazu schreibt er: „Mir war danach, zu Überwachungskamera zu gehen, die Ikone vor die Linse zu halten und den Wärtern zuzubrüllen: Seht her, ich bin nicht allein!“ Natürlich wollte er nicht riskieren, dass ihm die Ikone genommen würde. Und tat das nicht.
Wacht auf!
Was heißt dieses Lebensbeispiel für uns im Advent 2024? Woraufhin sollten wir wach bleiben?
Vielleicht zu der Erkenntnis, dass auch in uns mehr Resilienz (Widerstandskraft) stecken kann, als wir in der Routine des Lebens wahrnehmen;
dass wir uns nicht in Verbitterung und Verhärtung zurückziehen müssen,
dass wir den Mund aufmachen, wenn billige Parolen in unserer Umgebung den Rechtsruck in unserem Land verstärken,
dass immer weniger Verständnis da ist für Humanität in der Asylfrage,
dass der Glaube an den um des Friedens auf Erden willen Mensch gewordenen Gottessohnes ins Lächerliche gezogen wird, weil kirchliche Amtsträger versagt haben….
Ich wünsche uns allen in dieser denkwürdigen Advents- und Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel 2025, dass wir nie im Leben bitter werden, menschlich bleiben können und die Erfahrungen machen: Wir sind nicht allein. Gott ist bei uns!!!
Ullrich Auffenberg