Predigt vom 14.7.2024 – Künstlertagung

Liebe Schwestern und Brüder,

in einem Dorf im Sauerland gibt es eine Schreinerei. Die Leute des Dorfes schauen gern mal in der Werkstatt vorbei, denn der junge Schreiner und seine Mitarbeiter machen gute Arbeit. Mehr aber noch kommen sie wegen des alten Schreiners, der aus dem Holz, was übrig ist, kleine Kunstwerke erstellt: Krippenfiguren, Heiligenporträts, Pflanzen Tiere. Die Leute sagen, der alte Schreiner ist ein weiser Mann, denn er weiß, dass alle Kreatur nicht nur ein Leben in sich birgt, sondern mindestens zwei oder drei. Spricht man aber zu dem alten Mann von seiner Weisheit, dann brummt er nur: Blödsinn. 

Was Weisheit ist, erfuhr ich, als der alte Schreiner an der Winterberger  Strasse mich durch seine Werkstatt führte und mir alles zeigte, was er erstellt hatte. Zum Schluss ging er mit mir in den Garten. Dort stand ein alter Apfelbaum. Er zeigte auf den Baum und fragte: Sehen Sie da oben die Astgabel? Die hat in der Abzweigung ein Loch, eine Wunde. Wahrscheinlich ist dort, als der Baum noch jung war, in die Gabelung ein Stein hineingefallen. Aber der Stein hat den Baum nicht erdrückt. Er ist in der Gabelung weiter gewachsen, der Baum. Irgendwann war er groß und der Stein so klein, dass er wahrscheinlich herausfiel. Aber sehen Sie, die Wunde ist geblieben, sie ist zur Narbe geworden. Jetzt ist dieser Baum sehr alt und morsch, muss bald gefällt werden. Dann mache ich aus der Gabelung mit der Wunde, dem Loch, eine Pieta, also eine Schmerzensmadonna mit dem toten Jesus auf dem Schoß. Der alte Schreiner ist längst tot, aber seine Pieta gibt es noch.

Hier ist ein Bild von dieser Pieta. –  Die Mutter und der Sohn sind unten in der Wunde miteinander verbunden, aber jede strebt für sich nach oben. Auch nach dem Tod geht das Leben für beide weiter.

Über viele Jahre hat der Baum Äpfel gespendet, jetzt ist er Botschafter für die Überwindung des Leids durch das Leben.

Unter Ihren Händen, liebe Schwestern und Brüder,  ist in dieser Woche wie beim alten Schreiner auch neues Leben entstanden. Das Holz, die Steine, alles was Sie bearbeitet haben, hatte vorher ja schon ein anderes Leben. Die Mooreiche z.B.  war vielleicht Jahrhunderte lang Baum, dann Stamm zum Tragen einer Brücke, jetzt ist sie ein Kunstwerk, das das Leben deutet, z.B. das der Vögel.

Ich habe mich gefragt: Welche Verbindung gibt es zwischen diesen Künstlertagen hier in dieser Woche und dem Evangelium des Sonntags.

Da verlangt Jesus von seinen Jüngern, auf alle Äußerlichkeiten zu verzichten: auf das zweite Hemd, auf eine Vorratstasche, auf Geld; nur Sandalen sollen  sie tragen und einen Wanderstab in der Hand. Was ist davon heute geblieben? Wenn ich mich als Jünger Jesu heute verstehe und es wörtlich nehme, was Jesus da sagt, dann muss ich antworten: Jesus, vergib mir, das schaffe ich nicht. Ich habe nicht nur eins, sondern mehrere Hemden im Schrank, sogar Mantel und Anzug. Allein mit einem Wanderstab komme ich auch nicht klar. Ich brauche schon ein Auto in diesem abgelegenen Kreis Höxter. Ein Fahrrad habe ich auch. 

Und dann lese ich an anderen Stellen, dass Jesus durchaus Verständnis dafür hat, dass Menschen diesen Ansprüchen nicht wörtlich genügen können. Es geht ihm darum zu deuten, wovon ich in meinem Lebensentwurf abhängig bin: Von diesen Äußerlichkeiten oder von meinem inneren Selbst, von meiner Würde. Vor Gott stehe ich mit dem, wer ich bin und nicht mit dem was ich habe, also mit meinem nackten Leben, mit meiner einfachen Person. So hat es der farbige Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King einmal gesagt: Vor Gott werden meine drei kleinen Kinder eines Tages nach ihren Charakter und nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt, und die Kinder der weißen Wohlstands-bürger nach der Kraft ihrer Liebe und nicht nach der Höhe ihres Bankkontos.

Der Apfelbaum im Sauerland oder das Holz und die Steine, die Sie in dieser Woche gestaltet haben, haben schon ein  langes Leben hinter sich, das auch Wunden geschlagen hat, die zu Narben wurden. So hat es doch auch auf unserem Lebensweg viele Umwege und Verletzungen gegeben, aber wir haben nicht nur überlebt, wir haben uns weiter entwickelt, sind an den Wunden gewachsen, gereift.

Jemand von Ihnen hat eine Königsfigur geschnitzt. Mich erinnert das an den Diakon Ralf Knoblauch, der im Auftrag der Caritas in einem Brennpunkt in Bonn arbeitet. Er schnitzt oft in Kinder-,Jugend- oder Familiengruppen dort solche Königsfiguren. Er will den Menschen damit sagen: Auch ihr, die ihr lebt am Rande der Gesellschaft, seid Könige, Kinder Gottes, ihr habt in euch die unantastbare Würde. Sein Projekt heißt: Demokratie braucht Würde.  

Eine Theologin hat einmal gesagt: We are Concreator of God, wir sind Mitschöpfer Gottes. Sie, Liebe Schwestern und Brüder, waren in dieser Woche alle Schöpfer und Schöpferinnen; und jedes Ihrer Werke strahlt in je eigenem Sinne Würde aus. Und wenn Sie in der nächsten Zeit Nachrichten hören, lesen oder sehen, dann schauen Sie auf Ihr Kunstwerk und sagen sich: Demokratie braucht Würde. Und ich kann daran mitwirken.


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