2020-10-11-28. So. i.J. – Selbstbestimmter Tod
Mt 22,1-14
Liebe Schwestern und Brüder,
Dieses Buch mit dem Titel „Gott“ von Ferdinand v. Schirach stürmt im Augenblick die Bestsellerlisten. Es stellt die Fragen: Wem gehört unser Leben und darf ich über meinen Tod selbst entscheiden? Ein alter Mann von 78 Jahren will nicht mehr weiter leben, nachdem er seine Frau verloren hat. Er verlangt nach einem Medikament, das ihn tötet. Eine Ethikkommission, bestehend aus Medizinern, Juristen, Pfarrern, Ethikern und Politikern diskutiert den Fall. Nachdem man in unserem Lande im Febr. 2020 das Strafrecht geändert hat und geschäftsmäßige Beihilfe zum Suicid nicht mehr unter Strafe steht, sind viele der Meinung: Mein Ende gehört mir. Umfragen weisen aus, dass 81 Prozent der Deutschen für aktive Sterbehilfe sind und meinen, Ärzte sollten schwerkranken Patienten beim Suicid helfen.
Manchmal frage ich mich: Was täte ich eigentlich, wenn ich als Seelsorger in einem Sterbezimmer dabei wäre, wenn ein Arzt einem Patienten das todbringende Medikament ermöglicht? Ein Schreiben des Vatikan in Rom lehnte zuletzt Sterbehilfe in jedem Falle ab und ermahnte uns Seelsorger, in dem Falle die Sterbesakramente zu verweigern und das Zimmer zu verlassen. Weil alles andere als Mitwirkung verstanden werden könnte. Da frage ich mich doch, was hätte Jesus denn getan. Hätte er das Zimmer verlassen oder wäre er bei einem Menschen in Not geblieben, auch wenn er gegen Sterbehilfe gewesen wäre?
Vor einiger Zeit sprach ich mit einer Ordensschwester aus St. Gallen in der Schweiz darüber. In der Schweiz wird z.B. durch Unternehmen wie Dignitas schon seit langem geschäftsmäßige Sterbehilfe praktiziert. Die Schwester erzählte mir, dass eine Frau mit abgrundtiefen psychischen Leiden ihr gesagt habe, sie hätte die Erlaubnis zum selbst-bestimmten Tod bekommen, aber sie sei eine sehr gläubige Frau und glaube an ein Leben danach. Sie fragte die Ordensschwester, ob sie sie im Sterbeprozess begleiten würde, also Gebete sprechen und Lieder singen würde. Die Schwester ist nicht rausgegangen, sie ist am Bett sitzen geblieben, hat gebetet, bis die Frau tot war. Ich glaube, so sagt die Schwester, das hätte Jesus doch auch getan. Und ist das nicht im Sinne der neuen Enzyklika des Papstes, fratelli tutti, wenn sie sagt: Geschwisterlichkeit geht über alles, und Menschlichkeit, Barmherzigkeit stehen über den Gesetzen. Das sind Werte, wie sie auch die Hospizinitiative Mutter Theresa z.B. hier in Büren verkörpert.
Im Januar dieses Jahres habe ich das Sterben eines Freundes miterlebt, der ALS hatte. Mit der Zeit wurde alles weniger. Irgendwann konnte er nicht mehr sprechen, kaum noch schlucken und atmen bis am Ende die künstliche Medizin das alles übernehmen mußte. Da war auch der Ruf: Bringt mich nach Holland, bringt mich in die Schweiz, gebt mir das rodbringende Medikament, damit ich endlich erlöst werde. Aber da war auch die herzliche Nähe des Pflegepersonals auf der Palliativstation, die Zuwendung der Angehörigen, die gut dosierte Palliativmedizin, und da waren unsere Gebete. Zuletzt ist der Freund friedlich eingeschlafen und wir alle hatten das Gefühl: Das war kein Exitus, kein Weggang, das war eine Übergabe in eine andere Dimension des Lebens hinein, an die der Freund zeit seines Lebens geglaubt hatte.
Wem gehört mein Leben? Wer bestimmt über meinen Tod? Dahinter steckt die Grundfrage: Wie verstehe ich überhaupt mein Leben? Nach christlicher Auffassung bin ich ein ins Leben Eingeladener. Meine Geburt, ich habe sie nicht geplant, sie ist über mich gekommen. Ebenso wenig kann ich mein Sterben planen. Auch der Tod kommt über mich, lädt aber nach christlichem Verständnis in eine neue Reifungsstufe des Lebens ein.
Jesus drückt das im heutigen Evangelium im Bild von der Mahlgemeinschaft aus. Alle sind in das göttliche Leben eingeladen, alle ohne Ausnahme. Da sind die einen, die hören diese Einladung zwar, aber sie nehmen sie nicht wahr. Es geht ihnen ja im jetzigen Leben richtig gut. Sie haben ihre Äcker, ihre Läden, den Großgrundgesetz, den 300 Mercedes, ein gutes Bankkonto. Warum sollen die glauben, dass man da mal durch eine ganz enge Pforte des Leids und der Schmerzen muss, um ins eigentliche Leben zu gelangen.
Aber die anderen, die von den Hecken und Zäunen, die im Leben immer zu kurz gekommen und auf die Nase gefallen sind, die haben Sehnsucht nach diesem anderen Leben und folgen der Einladung. Und es werden alle, die wollen, am Mahl der Geschwisterlichkeit teilnehmen, ob sie auf den Schlachtfeldern gestorben sind, als Flüchtling im Stacheldraht hängenblieben, einen Unfall hatten oder in weißen Betten starben, ob sie über ihren Tod selbst entschieden haben oder nicht. Jesus macht da keine Unterschiede, denn seine Botschaft ist Egalität, Gleichwertigkeit aller Menschen, die der Papst auch ins seiner neuen Enzyklika betont.
Bei Ferdinand v. Schirach bleibt die Frage offen: Wen gehört unser Leben, wer entscheidet über unseren Tod? Das Theaterstück endet mit der Frage: Was ist das Richtige?
Liebe Mitchristen, in der Botschaft Jesu, heißt die Antwort: Dein Leben gehört letztlich Gott. Und der lädt dich ein, immer nur zum Leben, und der sorgt dafür, dass kein Leben, auch von den Allerkleinsten nicht jemals verloren geht. Amen.