Predigt vom 31.5.2020 – Pfingsten – Berührung

2020-05-31 Pfingsten

Berührung

Schrifttext Joh 20, 19-23

Liebe Schwestern und Brüder,

haben Sie das gerade gehört: Jesus haucht die Menschen an, ohne Mund- und Nasenschutz. In diesen Coronazeiten wäre das ganz undenkbar. Aber Seelsorge geht bei Jesus immer über Nähe, über Berührung. Wie oft reicht er Menschen die Hand, richtet sie auf. Auch Handgeben geht nicht in Coronazeiten. Wie sehr sich Menschen aber in der Seelsorge nach Berührung sehnen, habe ich mal eindrucksvoll von einem Kollegen gehört. Seine Geschichte erzähle ich:

 

„Martin ist Priester. Alexander ist krank. Martin ist alt und hat viel Er­fahrung. Alexander ist jung und hat keine Hoffnung mehr. Martin hat Dienst in der Krankenhausseelsorge. Alexander hat AIDS und liegt im Spital.

Sie sprechen einige Male miteinander. Alexanders Tage sind ge­zählt.

„Ich habe eine Bitte an dich!“ Sagt er zu Martin.

Alexanders Stimme ist sehr schwach. Martin setzt sich zu ihm. „Seit Jahren hat mich niemand mehr berührt.“ Alexander stockt. „Ja, fast drei Jahre schon nicht mehr. Immer nur mit Handschuhen. Und wenn mir vielleicht einmal jemand die Hand gegeben hat, dann nur kurz. Ich habe gespürt, wie die Finger zuckten. Oder die Hände waren feucht. Angstschweiß.“

Alexander starrt die weiße Wand an. Lange. Martin schweigt. Plötz­lich greift Alexander nach Martins Hand und schaut ihn an. „Bitte reib mir den Rücken mit der Salbe ein!“

Er deutet mit einem Blick auf einen weißen Tiegel am Nachtkästchen. „Bitte reib mir den Rücken ein!“ wiederholt Alexander. „Ohne Hand­schuhe!“ setzt er nach. Fast wie ein Schrei.

„Ja!“ sagt Martin. Im gleichen Moment jagt Panik durch den Priester. Mein Gott, meine Hände dürfen nicht zittern und nicht schwitzen! Martin steht auf, nimmt die Salbe. Alexander dreht sich zur Seite. Martin reibt ihm ganz langsam den Rücken ein. Seine Hände schwit­zen und zittern nicht. Plötzlich zittert Alexanders Rücken. Der Kran­ke bebt am ganzen Körper.

Er schluchzt laut auf und weint hemmungslos.  Martin verteilt die Salbe weiter. Mit beiden Händen. Ruhig und sanft.

„Seit so vielen Jahren bin ich Priester. Aber jetzt weiß ich endlich wirklich, was Krankensalbung ist!“ sagt Martin und betrachtet seine Hände. Er hat die Geschichte Andreas erzählt. „Jetzt weiß ich, was Krankensalbung ist!“ sagt Andreas zu mir. Ich erzähle die Geschichte  weiter,  weil  ich jetzt auch  weiß,  was Krankensalbung ist!

 

Wir meinen oft, die Sakramente der Kirche seine so etwas Heiliges, Ritualisiertes, was nur mit liturgischer Kleidung oder mindestens der Stola stattfinden kann. Wenn ich die Sakramente von Jesus her denke, dann sind sie ganz nahe am Menschen dran. Martin berührt den Aidskranken. Jesus hat sich nicht gescheut, einen Leprakranken zu berühren. Der heilige Franziskus schließt ihn sogar in die Arme. Das ist kein Leichtsinn, sondern Jesus will damit sagen: Überwindet die Schranke der Ausgrenzung. Denn was solchen Kranken mindestens so zu schaffen macht wie die Krankheit, ist die Tatsache, dass niemand mit ihnen was zu tun haben will, ist die Einsamkeit.

 

Gestern hörte ich von einer alten Frau im Altenheim. Eine Mitarbeiterin in diesem Heim hat das Coronavirus eingeschleppt. Die alte Frau ist isoliert. Sie erträgt die Einsamkeit nicht und verweigert Essen und Trinken. So stirbt sie langsam, nicht an Corona, an Beziehungslosigkeit. Das sei der schlimmste Tod, sagt eine Theologin, der  der Beziehungslosigkeit.

 

Heute ist Pfingsten, der Geburtstag der Kirche. Was müssen wir aus Corona als Kirche lernen. Ich denke, Beziehungen aufzubauen. Seelsorgerinnen und Seelsorger bewegen sich heute in allen möglichen Strukturen, in Konferenzen über Konferenzen, in etlichen Teamsitzungen, in allen möglichen Veraltungsbereichen, nur nicht mehr in Hausbesuchen, in Kranken-hausbesuchen, im Schulunterricht, immer weniger direkt am Menschen. Wir müssen von einer moralischen, ritualisierten Kirche zu einer hingehenden Kirche werden. Ich weiß nicht, wieviel Zeit zu leben Gott mir noch gibt. Aber ich möchte diese Restzeit nutzen, um so etwas aufzubauen wie ein „Netzwerk christlicher Achtsamkeit und Empathie“, offen zu sein für Menschen wie Alexander, in Not, in Einsamkeit, Nähe und Berührung nicht zu scheuen.

 

Alexander sagt zu Martin: Reib mir den Rücken ein, ohne Handschuhe. Aufgrund dieser Geschichte sträubt sich in mir alles, die Kommunion  mit Einweghandschuhen auszuteilen. Darum habe ich vorgeschlagen, als wir im Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand darüber sprachen, dass wir auf das äußere Zeichen der  Brothostie verzichten. Das heißt aber doch nicht, dass die innere Kommunion, also die Begegnung mit Jesus in der Tiefe meiner Seele, im stillen Gebet nicht stattfinden kann. Wir müssen uns ja auch nicht wie bei Jesus in Evangelium gegenseitig anhauchen, damit der Heilige Geist in uns lebt. Symbolisch verstanden haucht uns Gott jede Sekunde seinen Odem ein, sonst könnt wir gar nicht atmen. Darum möchte ich als Kommunion immer 2 Minuten Stille lassen nach dem Vater unser, damit jeder die Gegenwart Christi bei sich selbst vollziehen kann.

„Gott, erleuchte die Augen meines Herzens, dass sie dein Geheimnis erkennen, öffne meine Sinne für die innere Stimme meiner Seele, damit ich das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden kann und nicht aus der Beziehung zu Dir und den Menschen falle. Amen.

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