2017-11-5 Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis 2017
Text: Mt 23,1-12
Thema: Mach`s Maul auf
Liebe Schwestern und Brüder,
im September war ich zu einem Seminar in der Stadt Schmalkalden in Thüringen. Schmalkalden ist bekannt durch den Schmalkaldischen Bund. Da haben sich 1531 die evangelischen Fürsten und Städte getroffen, um diesen Bund gegen die Katholiken zu schließen. Das ganze sollte mit einem Gottesdienst beginnen, in dem Martin Luther die Predigt halten sollte. Luther bekam aber plötzlich fürchterliche Gallenkoliken und übergab die Predigt an einen anderen Pfarrer. Der war sich total unsicher, was er denn da sagen sollte. Luther wurde das irgendwann zu bunt und er sagte zu dem Kollegen in seiner derben Sprache: „Steig auf die Kanzel rauf. Tritt fest auf. Mach`s Maul auf und hör bald wieder auf.“
Damit wollte er sagen: Sei überzeugt von dem, was Du sagst und vertritt diese Überzeugung mit deinem Mund. Aber fasse dich kurz, komm auf den Punkt, hör bald wieder auf.
Ich denke, das ist ein schwerer Lernprozess, den Mund aufzumachen, einzustehen für das, wovon man überzeugt ist. Die Entwicklung eines solchen Selbstbewußtseins wie es bei Luther der fall war, wünscht man sich für sich selbst. Gerade seinen Wegen zu gehen, Widerstände aushalten zu können, nicht abhängig zu sein vom Urteil der Leute, das macht den Charakter eines Menschen aus. Dieser Prozess der Selbstwerdung fängt schon sehr früh an. Als Kind und Jugendlicher war ich acht Jahre in einem Internat. Wenn man da nicht irgendwann lernt, sich zu behaupten sich auch zu wehren, dann geht man unter. Es ging mir damals wie in diesem Lied von Eddi Hüneke:
Es gab ne Zeit, da war ich klein
und auf dem Schulhof oft allein
Die Großen schubsten mich herum
denn ich war schüchtern, oftmals stumm
am Ende war ich angstgeplagt
doch dann hat jemand mir gesagt:
Mach das Maul auf, weil jede Stimme zählt.
Mach das Maul auf, weil deine Stimme zählt.
Manchmal wollte nach den Ferien nicht mehr ins Internat zurück, weil ich fürchtete, dass es wieder zu Prügeleien kam. In mein Leben trat damals ein fünf Jahre älterer Schüler, der sagte: Ich kann dich jetzt beschützen, aber nicht immer. Mach selbst Dein Maul auf und zeig den anderen, wer Du bist und notfalls auch deine Faust. Du bist auch stark. Das hat geholfen. Tritt fest auf. So habe ich mein Selbstbewußtsein gefunden.
Liebe Mitchristen, nichts fehlt unserer Kirche heute so sehr, wie Menschen, die selbstbewusst auftreten, den Mund aufmachen und das auch leben, wovon sie reden. Wir hätten Menschen, die zu ihren Glauben stehen so bitter nötig.
Jesus sagt aber im heutigen Evangelium, das darf keine Schau sein, das muss echt sein. Jesus kann sie nicht leiden, die die sogar mit ihren kirchlichen Ämtern prahlen und angeben, die ihre Gebetsriemen breit machen und bei allen Veranstaltungen die Ehrenplätze einnehmen. Er sagt: Ihr sollt nicht Rabbi, Meister, Professor, Prälat, Exzellenz oder Eminenz nennen lassen. Ihr seid alle Menschen, Schwestern und Brüder. Das hat diesen Jesus nicht interessiert: Die Titel, die Orden, die 1a – Zeugnisse und Zertifikate, der Glanz einer Halskette oder die Höhe einer Mitra. Ihn interessierte allein die Person, die Menschlichkeit und die Gleichwertigkeit aller Menschen. Menschlichkeit ist das Herzstück unseres christlichen Glaubens. Der Einsatz für Behinderte, Alte, Kranke, Kinder, Vertriebene, für all die Schwachen ist die Kernbotschaft Jesu. Dafür hat er die Tische der Geldwechsler im Tempel umgeschmissen, die maßlosen Spekulanten und Händler verprügelt; dafür hat er sich mit den Mächtigen angelegt, so dass die ihn schließlich ermordeten.
Aber sein Traum lebt weiter, in uns. Im Namen dieses Traumes der Menschlichkeit brauchen wir heute lebendige Gemeinden, Menschen, die den Mut haben, den Mund aufzumachen und sich nicht schämen, Christen zu sein, ihren Glauben auch zu leben und praktizieren. Auch darum möchte ich herzlich einladen, am nächsten Wochenende den PGR mitzuwählen. Und jetzt will ich Luthers Rat befolgen: Hör bald auf. Amen.