2017-10-08_27_ So._im J._Predigt
Mt 21,33-44
Ican – Friedensnobelpreis
Liebe Schwestern und Brüder
Der Friedensnobelpreis ist in diesem Jahr an ICAN gegangen, an die
„Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen“.
Diese Organisation weist leidenschaftlich darauf hin, dass nicht nur
Nordkorea atomar aufrüstet. In den anderen acht Atomstaaten wie den
USA, Russland oder China werden die Atomprogramme im großen Stil
modernisiert. Hochrangige Politiker, darunter Wolfgang Schäuble,
warnen davor, dass es unter diesen Bedingungen nur eine Frage der
Zeit sei, bis die nächste Atombombe in irgendeine Großstadt der Welt
fällt.
Was hat das alles mit unserem christlichen Glauben und dem heutigen
Evangelium zu tun? Im Gleichnis vom Weinberg machen die Winzer,
was sie wollen. Sie leben ihren Egoismus, sie wollen nichts abgeben. Sie
leben auf Kosten der anderen und vor allem des Eigentümers. Für ihren
Egoismus prügeln sie und schlagen sie, morden sie sogar. Der Weinberg
ist Symbol für die Schöpfung Gottes, für das Paradies Erde.
Den Menschen ist dieses Paradies anvertraut. Aber was haben sie auf
Dauer daraus gemacht? Einen Planeten der Angst? Einen Planeten der
Ungerechtigkeit, wo die einen immer reicher werden und die anderen
ärmer? Wo jeder sich gegen den anderen behauptet? Ein waffen-
starrendes Arsenal, in dem die einen ihre Freiheit, ihren Wohlstand und
Reichtum verteidigen und die anderen ihre Macht, ihre Gewalt über viele
Menschen? Und wenn dann Beauftragte des Weinbergsbesitzer
kommen, also Propheten Gottes wie Jeremia, Jesaja oder Jesus von
Nazareth oder neuerdings Dietrich Bonhoeffer, Martin Luther King oder
Mahatma Gandhi, dann werden die kurzerhand ins Gefängnis gesteckt
oder ermordet.
Was haben wir gemacht aus diesem Weinberg Gottes? Wenn ich diese
Frage global stelle, dann kann ich nur in Schockstarre verfallen und
tatenlos zusehen, was geschieht.
Und darum muss ich wach werden und mir die Frage stellen: Wie lebe
ich denn in meinem kleinen Weinberg, in dem bischen Garten Eden, den
ich zu gestalten habe, in meiner Familie, meinem beruflichen Umfeld, in
meinem Freundeskreis? Regiert mich da die Angst, baue ich Zäune um
mich auf, statt das Leben fröhlich mit anderen zu teilen. Ich habe einmal
Besinnungstage mit der Klasse einer Berufsfachschule gemacht, da
sagte ein Schüler: Hier denkt jeder nur an sich. Ich komme mir in dieser
Klasse vor wie von einer Mauer umgeben. Bei diesen Einkehrtagen, die
sehr intensiv waren, hatte ich den Eindruck, dass unsere Gemeinschaft
mit Menschen zusammenhängt mit der Bindung, die Menschen an Gott
haben, also an den Weinbergsbesitzer.
So hatten wir denn auch an die jungen Leute die Frage gestellt „Wer ist
Gott für dich?“ Einige von den Schülerinnen antworteten: „Gott ist für
mich eine Erfindung des Menschen für all die Dinge, die er sich nicht
erklären kann.“ Andere sagten: „Gott ist für mich eine Instanz, zu der ich
als Kind mal gebetet habe, an die ich aber schon lange nicht mehr
glaube.“ Ich dachte, die haben wie die Winzer im heutigen Evangelium
Gott längst aus ihrem Leben hinausgeworfen. Ich war ratlos, wusste
nicht, was ich machen sollte. Da kam plötzlich von einer Schülerin eine
Frage um die Ecke, die für mich die Rettung war. „Und Sie“, so fragte
sie, „woran glauben Sie?“ Ich antwortete: „Ich muss manchmal in mich
gehen, still werden, ganz bei mir sein. Dann kann es ab und zu sein,
dass tief aus meinem Inneren, aus dem Raum, in dem die Träume, die
Mythen und die Sehnsüchte wohnen, ein Zwiegespräch aufsteigt mit
einer Macht, die mir die Angst nimmt, die mir sagt: Das Leben ist viel
größer als die Sorgen und Probleme, die dich gerade beschäftigen. Und
dann spüre ich Befreiung, Leben. Wie gesagt manchmal. Aber wenn ich
regelmäßig in diesen Raum gehe, dann reichen die seltenen
Augenblicke der Befreiung für lange Durststrecken. Da fragten die
Schüler: Können wir das mal üben? Und ich dachte, sie sind nicht
ungläubig. Auch in ihnen wohnt die spirituelle Sehnsucht nach einer
Macht die größer ist als wir, größer als ein drohendes Atomchaos.
Mich hat die Verleihung 2017an den Friedensnobelpreisträger von 2010
erinnert, an den chinesischen Menschenrechtsaktivisten Liu Xiabo, der
den Preis nicht selbst entgegen nehmen konnte, weil er bereits seit 2009
in Haft saß. Im Juli 2017 ist Liu unter erbärmlichen Umständen an Krebs
gestorben. Man hatte ihn zur Operation nicht ausreisen lassen.
Kürzlich hörte ich ein heimlich aufgenommenes Interview mit einem
Dissidenten aus dem Umfeld von Liu Xiabo. Wir wissen heute, dass die
Gruppe um Liu sehr stark aus dem Geist der Bergpredigt lebt und aus
dem Gedankengut Mahatma Gandhis. Eine Hauptlektüre Lius im
Gefängnis war die Bibel. In diesem heimlich aufgenommenen Interview
war dieser Dissident aus dem Umfeld Lius gefragt worden, wie er denn
mit dem Leben im Untergrund, im Widerstand und vor allem mit der
Erfolglosigkeit fertig werde. Verfallen Sie da nicht dem Pessimismus und
der Resignation? ER hat geantwortet: „Pessimismus und Verzweiflung
kommen aus der Angst. Wir sind frei davon, weil wir unsere innere Angst
überwunden haben.“
Da sind wir ganz nah an dem, was unseren Glauben ausmacht.
Christentum ist eine Erlösungsreligion. Wir brauchen keine Angst mehr
zu haben, vor dem Leben nicht und auch nicht vor dem Tod. Christus
lebt in uns. Wir müssen ihm nur bis zu uns selbst entgegengehen.
Amen.