2024-02-04 5. Sonntag i. J.
Wage zu leben, wage das zu leben, was in dir ist und du nicht kennst.
Liebe Schwestern und Brüder,
morgens um 7.50 Uhr, am 7. August 1974, geriet die New Yorker Polizei in Entsetzen und die Bevölkerung von Manhatten ins Staunen, als sie zum Himmel blickten. Da sahen sie einen Artisten in 417 Metern Höhe zwischen den Zwillingstürmen des World-Trade-Centers auf einem Drahtseil hin- und hergehen. Philipp Petit hieß der Mann, der da ohne Netz und doppelten Boden in der höchsten Höhe über ein Seil balancierte, die je ein Artist bewältigt hatte. Heimlich und von den Wachmannschaften unentdeckt hatten zwei Teams des Philipp Petit in der Nacht das Drahtseil und all die Vorrichtungen, die sie brauchten, in den Fahrstühlen nach oben geschafft. Im Morgengrauen schossen sie das Seil von einem Turm zum anderen, und Philipp konnte darüber balancieren. Als er wieder unten war, wurde er sofort verhaftet und von den Polizisten zur Rede gestellt, warum er ein solch riskantes Unternehmen gestartet habe. Seelenruhig antwortete der Seiltänzer:
„Wenn ich drei Apfelsinen sehe, dann muss ich jonglieren. Und wenn ich zwei Türme sehe, dann muss ich über ein Seil hin- und hergehen.“
Es gibt in unserem Leben so etwas wie einen „inneren Geist, der uns sagt, dies musst du jetzt tun oder leben, so eine Notwendigkeit der inneren Sehnsucht.“ (Vgl. H. Nouwen, Ich hörte auf die Stille, Freiburg, 17. Aufl. 1998)
Frag ein Kind: „Warum spielst Du Ball?“ Es bleibt die Antwort schuldig. Es muss einfach spielen, wenn es den Ball sieht. Wende Dich an einen jungen Mann: „Warum lieben Sie Ihre Frau?“ Er wird sagen: „Als ich sie sah, musste ich sie eben lieben.“
Fragen Sie Frau Anna: Warum spielt sie Orgel? Sie wird sagen, wenn ich Tasten sehe, muss ich einfach spielen; oder Frau Mechthild: Warum Flöte, ich muss sie einfach in die Hand nehmen und spielen?
Das ist die innere Notwendigkeit der Sehnsucht. Man muss ihr folgen, sonst lebt man sein Leben nicht.
Frage ich Sie: Warum tanzen Sie gern? Sie werden antworten: Wenn ich eine bestimmte Musik höre, dann zuckt es in meinen Füßen. Bei den Besuchen unserer Projekte in Westafrika, habe ich oft erlebt, dass Afrikaner, wenn sie in die Nähe einer Trommel kommen, in Bewegung geraten. Da haben wir Gottesdienste von 3 Stunden bis zu 6 Stunden Dauer gefeiert, und das lag immer am Tanzen. Einmal stand ich beim Sanctus 3/4 Stunde verloren als Zelebrant hinter dem Altar, weil das Lob Gottes durch Tanzen kein Ende nahm. „Sie nehmen beim Tanzen am Sonntag im Gottesdienst das Leben unter ihre Füße und damit auch all ihre Probleme, sagte Schwester Elisabeth, die Oberin des Urwaldhospitlas. Wenn man etwas unter die Füße nimmt, wird es leichter.
So viele Berufe, so viel ehrenamtliches Engagement wird doch oft mit Leidenschaft gefüllt, weil Menschen der inneren Notwendigkeit ihrer Sehnsucht folgen.
Auch das Evangelium ist voll von dieser Notwendigkeit, es erzählt davon sogar radikal, dass Menschen von jetzt auf gleich alles Bisherige stehen und liegen lassen, um dieser neu entdeckten Sehnsucht zu folgen. Was das bei anderen auslösen kann, erzählt die heutige Geschichte.
Jesus besucht mit seinen Jüngern die Schwiegermutter des Petrus, die krank ist, Fieber hat. Was hat diese Frau denn krank gemacht. Exegeten meinen, das sei eher eine Kränkung, Zorn, Wut vielleicht, ein richtiger Wahn, ein Fieberwahn.
Was war diesem Besuch vorausgegangen? Ein Fischer, namens Simon, war mit ihrer Tochter verheiratet. Sie hatten wohl möglich Kinder und ein geregeltes Einkommen aus diesem harten Job des Fischers. Und da kommt irgendwann dieser Wanderprediger namens Jesus vorbei und sagt zum Simon: Komm mit, von jetzt an bist Du Menschenfischer. Da läßt dieser Simon alles liegen die Netze, die Boote, den Beruf, die Familie und folgt diesem Wanderprediger. Und wovon sollen wir jetzt leben, wo es keine Arbeitslosenversicherung gibt?
Fragt sich die Schwiegermutter. Sollen wir verhungern. Meine Tochter weint sich die Augen aus. Was soll denn all dieses Gerede von einer neuen Sehnsucht, einer neuen Lebens-wirklichkeit in meinem Herzen, der ich folgen muss.
Jetzt höre ich, dass der ganze Verein bei mir zu Besuch kommt, inklusive des abgehauenen Schwiegersohns. Ich für die Kaffee kochen und Kuchen backen? Fällt mir nicht ein. Da streike ich, ich leg mich ins Bett und werde krank.
In dem Augenblick geschieht etwas ganz Unerwartetes. Jesus betritt das
Krankenzimmer. Er sagt nichts. Er berührt die Stirn diese kranken, gekränkten Frau.Jemanden berühren im damaligen Israel hieß: Ich gebe dir alle Zuwendung, die in mir steckt, ich verstehe dich bis auf den Grund deiner Seele. Da weicht das Fieber, der ganze Trotz, die Kränkung, das
Beleidigtsein weicht von der Frau. Da ist nur noch Liebe zwischen diesen
beiden, da ist der Himmel zwischen ihnen. Plötzlich erkennt diese Frau:
Es gibt etwas Wichtigeres im Leben als materielle Absicherung.
Sich von Menschen, sich Gott berühren zu lassen, das hat eine entscheidende Lebenspriorität. Er legt die hand auf die Stirn; Hinter der Stirn sind all die Gedanken, die Gefühle eines Menschen. In der Nähe Jesu kommen sie zur Ruhe. Das ist die letzte innere Notwendigkeit unserer Sehnsucht: Bei Gott ausruhen zu dürfen, im Stillen Gebet, in der Kontemplation, der Begegnung mit Menschen, im meditativen Tanz.