Predigt vom 20.7.2025 – Mitgefühl statt Selbstsucht

16.So.i.J. –

Lukas 10,38-42

Liebe Schwestern und Brüder,

der 20. Juli ist einer der großen Gedenktage der deutschen Geschichte. Am heutigen Tag vor 81 Jahren unternahmen Männer um den Grafen Stauffenberg den letzten großen Versuch, unser Land von der Tyrannei zu befreien. Er scheiterte, konnte die Katastrophe nicht mehr verhindern. Der Kern des deutschen Widerstands war der Kreisauer Kreis, benannt nach einem Gut in Schlesien. Der Gutsherr von Kreisau, Helmut James Graf von Moltke, war einer der führenden Köpfe des Widerstands. Als er vor dem Blutrichter Roland Freisler stand, sagte er: Ich stehe hier nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adeliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher … sondern als Christ und als gar nichts anderes stehe ich hier vor Gericht“.

Der christliche Glaube hat die meisten deutschen Widerstandskämpfer motiviert, ihr Leben zu riskieren. Frieden zu schaffen ist die große Herausforderung der gesamten Christenheit. Darum gibt es zur Friedensökumene keine Alternative, meint von Moltke.

Frieden ist die große Herausforderung auch unserer Zeit. Verantwortliche unserer Kirche haben das erkannt. Der im März 2024 neu ernannte Erzbischof von Paderborn hat das Leitwort: Ehre sei Gott, Friede den Menschen. Und im Mai 2025 hat Papst Leo XIV sein Pontifikat mit dem Satz begonnen: „Der Friede sei mit euch allen.“ Ständig äußert dieser Papst, wie sehr ihm das Herz blutet, wenn er in die Ukraine, nach Gaza, in den Kongo, wohin auch immer blickt. Stets aufs Neue bietet er den Mächtigen an, den Vatikan für Friedensverhandlungen zu nutzen.

Was ist Frieden? Mir fallen dazu zwei Begegnungen aus der letzten Zeit ein. Freunde von mir begleiten regelmäßig Hilfstransporte in die Ukraine. Zuletzt als die Bombardierungen Putins unerträglich wurden, haben sie einer Familie dort diese Frage gestellt. Sie haben geantwortet: „Frieden ist für uns nachts schlafen zu dürfen und tagsüber arbeiten zu können.“

So wenig ist Frieden. Aber man merkt es erst, wenn man es nicht mehr hat.

Ein zweites Beispiel: Farten Mukarka ist eine christliche Palästinenserin, die im Westjordanland in Betlehem lebt. Betlehem ist heute eine Stadt von 30.000 Einwohnern autonomes Palästinensisches Gebiet. 20 % der Einwohner sind christliche Palästinenser, darunter Farten Mukarka, die dort eine kleine Pension betreibt und Pilger aus Europa betreut, die jetzt kaum noch kommen wegen des Krieges. Darum ist sie in Deutschland und versucht zum Unterhalt ihrer Familie kleine Krippenfiguren aus Olivenholz zu verkaufen. Als ich sie im Januar traf, erzählte sie, ihr dreijähriger Enkel hätten zum letzte Weihnachtsfest zu ihr gesagt: Oma in diesem Jahr traut sich das Jesuskind bestimmt nicht nach Betlehem. Es hat viel zu viel Angst. Wovon ging die Botschaft einst aus: Ehre sei Gott, Friede den Menschen?

Am Tag des Widerstands gegen den Tyrannen, stellen wir fest, dass die Tyrannei wieder auf dem Vormarsch ist und den Kindern, den Familien, den Menschen vor Ort die Luft zum Atmen und zum Leben nimmt. Die Zeitschrift Christ in der Gegenwart, schreibt in ihrer letzten Ausgabe, zunehmend mache sich die Haltung breit: Selbstsucht ist eine Tugend und Mitgefühl ist eine Schwäche. Die Menschen des deutschen Widerstands sagen uns: Christentum ist genau das Gegenteil: Mitgefühl ist Tugend und Selbstsucht ist Sünde, Ich zuerst ist Sünde. Um das zu leben, muss man sich aber tief im christlichen Glauben verwurzeln.

Wie das gelingen kann, dazu zwei Beispiele. Sophie Scholl war Mitglied der studentischen Gruppe des Widerstands „Die weiße Rose.“ Für mich verkörpert sie die zwei Seiten der beiden Schwestern Marta und Maria. Wie Marta ist sie ungeheuer aktiv, druckt auf einer klapprigen Vervielfältigungsmaschine Flugblätter, verteilt sie nachts, schreibt Parolen an Mauer Nieder mit Hitler. Aber wie Maria kann sie hinhören, sich fragen, wer gibt mir Kraft, Sinn? Abends sitzt sie mit ihrem Bruder Hans und den anderen zusammen, liest in der Bibel oder in den Bekenntnissen des heiligen Augustinus. Als sie verhaftet und zum Tode verurteilt war, da liegt sie am Tag vor der Hinrichtung in ihrer Zelle. Ihre Zellennachbarin Else Gebel berichtet später, dass sie mitten in der Nacht in einen Weinkrampf geriet, der sich dann in einem Gebet auflöste: „Lieber Gott, ich halte dir mein Herz hin; es ist so voller Angst, es zittert und verzagt. Aber lieber Gott, auf dich hin bin ich geschaffen und un- ruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.“ Der letzte Satz war ihr Motto des Widerstands: „Unruhig ist…Für mich sind viele Christen des deutschen Widerstands Zeugen der Auferstehung wie Petrus oder Paulus. Von Bonhoeffer über Delp, die weiße Rose bis hin zu Graf von Moltke, sie haben alles riskiert, weil sie ganz klar hatten, wir sind Bürger zweier Welten und finden unsere Vollendung in der Welt Gottes.

 

Mitgefangene sagten über von Moltke, er habe in den letzten Tagen einen würdevollen fast glücklichen Ausdruck auf seinem Gesicht gehabt. Die Zeiten des Kampfes, des Schmerzes, der quälenden Verhöre, der Folter, der Verzweiflung waren vorbei. Jetzt hieß Sterben für Moltke einzugehen in Gottes Glückseligkeit. Kurz vor seinem Tod schrieb er an seine Frau Freya: „Der Auftrag, für den Gott mich gemacht hat, ist erfüllt. Darum kann ich ruhig sterben und Gott entgegen gehen.“

Was sagen uns also diese Geschichte von Marta und Maria und der christliche Teil des deutschen Widerstands? Vieleicht dies: Willst Du für den Frieden sein, dann schließe zuerst Frieden mit dir selbst: Setz dich zu Jesus, höre ihm zu und erfahre von ihm, warum du lebst. Amen.


als pdf

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.