Predigt vom 25.12.2024 – Weihnachten

2024-12-25-Weihnachten Joh 1,1-18

Wo ist Gott heute Mensch?

Liebe Schwestern und Brüder,

Weihnachten 2024 stellt sich diese Frage: Wo war eigentlich Gott, als am letzten Freitag, dem 20.12., ein Irrsinniger in den Magdeburger Weihnachtsmarkt raste, 5 Menschen in den Tod riss und 200 Verletzte zurückließ? Wo ist Gott, wenn in völlig sinnlosen Kriegen zurzeit jeden Tag Tausende von Menschen brutal verheizt werden?

Gibt es eine Antwort? Sie erinnern sich vielleicht, dass im März des Jahres 2009 in dem kleinen Ort Winnenden nördlich von Stuttgart ein siebzehnjähriger an einer Realschule Amok lief und 15 Schüler tötete. Damals hat ein Mitschüler im Internet gepostet: „Gott, wo warst Du, als meine Freunde ermordet wurden?“ Gleich darauf hat eine andere Mitschülerin mit folgendem Post geantwortet:

„Ich glaube, Gott ist zutiefst traurig über das, was geschehen ist,
genauso wie wir;

aber seit so vielen Jahren sagen wir,
dass Gott aus unseren Schulen verschwinden soll,
aus unserer Regierung verschwinden soll

Aus unserer Verfassung, aus den Parlamenten
und aus unserem Leben verschwinden soll.

Und ich glaube: weil Gott ein Gentleman ist,
hat Er sich still und leise zurückgezogen.
Wie können wir von Gott erwarten,
dass Er uns Seinen Segen gibt
und uns Seinen Schutz gewährt,
wenn wir von Ihm verlangen,
dass er uns in Ruhe lässt?“

Zu Weihnachten 2024 bedeutet dieser Post: Gott ist Mensch geworden. Er zieht bei uns ein als das Urprinzip des menschlichen Daseins, teilt mit uns die letzte Existenz bis in unser Fleisch und Blut. Aber es ist die Entscheidung jedes Menschen, ob er ihn haben und seinem Programm der absoluten Humanität folgen will. Offensichtlich hat er das Herz des Wahnsinnsfahrers von Magdeburg nicht erreicht, auch das nicht von so vielen Despoten von Putin bis Assad. Dafür kann ich nicht einstehen. Aber für die eigene Entscheidung kann ich einstehen: Will ich Gott haben in meinem Leben? Oder denke ich nicht auch, er soll verschwinden aus meinem Leben. Er ist mir zu anspruchsvoll. In der Sprache des heutigen Evangeliums heißt das: Er kam in sein Eigentum, doch die Seinen nahmen ihn nicht auf. Bin ich das: Sein Eigentum? Gehöre ich gar nicht mir, sondern dem aller ersten Anfang, dem Wort, das alles erschaffen hat und das wir Gott nennen? Genau das ist die Botschaft des Evangelisten Johannes: Nichts von all dem, was ich bin,habe und lebe, gehört mir, nicht einmal der kleine Finger.

Was aber bedeutet dieses Wort vom Anfang, dem ich gehöre? Im Griechischen steht da „Logos“. Dafür gibt es viele Wortbedeutungen. „Allumfassender Sinn“, diese Übersetzung kommt mir am nächsten. Es ist der allumfassende Sinn meines Lebens, die Humanität, die Güte, die Barmherzigkeit Gottes in mir selbst und in meinen Beziehungen wirken zu lassen. Das ist nicht moralisch gemeint im Sinne von `Du musst mit aller Gewalt menschlich, gütig, barmherzig sein! Zwing dich dazu!`

Der allumfassende Sinn der Menschlichkeit ist vielmehr eine Quelle in Dir, die dir Kraft geben kann, wenn Du in dich hineinhorchst. Deshalb ist Weihnachten ja eigentlich ein Fest der Stille, des Horchens, der Besinnung, der persönlichen Gottesbegegnung. Ja, Gott nicht aus seinem Leben verschwinden zu lassen, ist tatsächlich anspruchsvoll. Es bedeutet, den Kontakt zu pflegen zu ihm wie zu einem guten Freund.

So traurig ist es, dass Gott in viele Gebiete dieser Erde nur noch zum Weinen kommt, selbst dorthin, wo nach den Evangelien vor 2000 Jahren alles begonnen hat. Bethlehem ist heute eine Stadt von 30.000 Einwohnern, autonomes palestinensisches Gebiet im Westjordanland. 20 % der Einwohner sind christliche Palestinenser. Die Menschen in Bethlehem dieser Tage verarmen zusehends, da seit dem 7. Oktober 2023 keine Touristen und christliche Pilgergruppen mehr ins Land kommen. Die Restaurants, Gästehäuser und Pensionen stehen leer. Es gibt keinen Absatz mehr für die herrlich geschnitzten Figuren aus Olivenholz. Eine Frau, die genau davon betroffen ist, war kürzlich hier auf die Hegge eingeladen, Faten Mukarker, heißt sie. Da wurde sehr deutlich, dass unter den großen Kriegen am meisten die Unschuldigen und die Schwächsten leiden. Besonders die Kinder. Sie erzählte, dass ihr vierjähriger Enkel zu ihr schon voriges Jahr Weihnachten gesagt hat: Oma, in diesem Jahr traut sich das Jesuskind bestimmt nicht nach Bethlehem.- Soviel Krieg, Armut, die Hohe Mauer – Wie soll das Jesuskind dadurch kommen?

Wir hören das und fühlen uns so ohnmächtig, können nur helfen durch Spenden oder indem wir solche Botschaften weitererzählen. Aber dass sich der mensch-Werdende Gott in unser Leben traut, das haben wir allerdings in der Hand. An uns liegt es, Gott nicht verschwinden zu lassen aus unserem Leben: Darum fordert uns der 1. Weihnachtstag auf:

Lasst Gott nicht verschwinden aus eurer Politik bei den Wahlen am 23. Februar,

lasst ihn nicht verschwinden, wenn Menschen in eurer Nähe extreme menschen-verachtende politische Parolen vertreten und seid nicht feige „um des lieben Friedens willen“, der kein Friede ist,

lasst Gott nicht verschwinden, wenn sie die Opfer des Magdeburger Weihnachtsmarktes und der Schlachtfelder im Nahen Osten oder der Ukraine für ihre Wahlpropaganda missbrauchen,

lasst ihn nicht verschwinden, wenn Politiker den Gottesbezug in der Verfassung ignorieren,

Lasst Gott nicht verschwinden, indem ihr dazu schweigt, dass der Ethik- und Religionsunterricht in den Schulen so oft ausfällt,

lasst Gott nicht verschwinden in euren Krankenhäusern, Pflegeheimen und Hospizen,

lasst ihn nicht verschwinden bei euch Zuhause im Morgen- und Abendsegen, in Tischgebeten, beim Besuch der Gemeindegottesdienste.

Natürlich, wenn ihr es so wollt, lässt Gott euch in Ruhe. Er ist ja ein Gentlemen. Aber was ist das dann für ein Erwachen, wenn ihr eines Tages feststellt, dass ihr ihm gehört und eigentlich euer ganzes Leben schon ihm gehört habt? Amen.


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