Predigt vom 26.5.2024 Dreifaltigkeitssonntag – Das zugewucherte Ohr

Das zugewucherte Ohr

Wenn die Propheten einbrächen
durch Türen der Nacht
mit ihren Worten Wunden reißend
in die Felder der Gewohnheit,…

Ohr der Menschheit
du nesselverwachsenes,
würdest du hören?

Einige Verse aus einem Gedicht von Nelly Sachs. Wie ginge es den Propheten, wollten sie die Botschaft Gottes zu den  Menschen unserer Zeit tragen?   Würden Sie z.B. bei vielen Menschen auf Ohren stoßen, die wie von Nesseln zugewuchert sind durch die auf allen Kanälen präsenten Werbekampagnen, oder durch das Gedröhn des Populismus, so dass sie das Eigentliche vom Uneigentlichen nicht mehr unter-scheiden können? Wir erleben es ja gerade jetzt vor den Wahlen. 

Zugewucherte Ohren.So viele Menschen, die taub sind für humanitäre und ethische Argumente.

Am Dreifaltigkeitssonntag fordert Jesus seine Jünger, also auch uns, auf: Geht zu den Menschen, tauft sie, lehrt sie, nach göttlicher Orientierung zu leben und schenkt ihnen mein Versprechen, dass ich keinen von ihnen auch nur einen Tag aus dem Auge verliere bis zum Ende der Welt.

Ihr habt in euch die prophetische Kraft des Christentums.

Geht zu den Menschen. Seid Propheten. Für mich hat das in der Seelsorge immer geheißen: Geh auch zu Kindern und Jugendlichen, in die Schulen, erst recht nach der Erstkommunion. 

Was war das manchmal für eine frustrierende Erfahrung: zugewucherte Ohren. Glaube und Religion interessierten die Kids nicht mehr. Ich hatte im Seelsorgeunterricht keine Noten zu vergeben und auch sonst kein Druckmittel. So herrschte das geregelte Chaos in jeder Stunde. Und ich fragte mich: Warum tust Du dir das an? Schmeiß doch die Brocken hin wie so viele Deiner Kollegen.                                                                       In meiner Ratlosigkeit lud ich die Eltern ein. Einige kamen auch. Ich gab ihnen gegenüber zu, dass ich die Ohren und die Herzen ihrer Kinder nicht erreichte. Und fragte sie, ob Ihnen denn die religiöse Bildung ihrer Kinder wichtig sei. Verlegenes Schweigen. War sie offensichtlich nicht. Relevant wären vor allem gute Noten in den Hauptfächern und das Abitur, gaben sie zur Antwort.  

Dann kamen wir ins Gespräch: Brauchen junge Menschen zur Selbstwerdung wirklich nur Leistungskompetenz, oder auch erfüllende Beziehungen, Verwurzelung in gültigen Werten, im Urvertrauen des Lebens, in Spiritualität?  Plötzlich stand Einigkeit im Raum. Das alles brauchen wir Menschen doch.                                                                                   Ich bat die Eltern ein: Helfen Sie mir. Lassen Sie uns doch gemeinsam daran arbeiten, dass Ihre Kinder diesen Gott kennen lernen, der auch jeden einzelnen von ihnen geschaffen hat als sein Ebenbild und der jeden Tag bei ihnen bleibt bis ans Ende. 

Einige Eltern erklärten sich dann bereit, mir bei der Umsetzung dieser Ziele zu helfen, mit mir in die Klasse zu gehen, um  nicht mehr frontal zu arbeiten, sondern in kleinen Gruppen und mit erlebnispädagogischen Elementen. Dann ging es, und es machte allen Freude, und ich brauchte die Brocken nicht hinzuschmeißen.

Wenn die Propheten einbrächen, Ohr der Menschheit würdest du hören? Philosophen, Soziologen verkünden eindringlich, dass die Menschheit dieser Tage die Resonanz der Religionen braucht, angesichts der riesigen Zukunftsprobleme, die sich doch gerade den jungen Menschen stellen: verheerende Auswirkungen des Klimawandels, der Macht-übernahme durch Autokraten oder inkompetenter populistischer Politiker, Verlust von Gemeinsinn und Demokratie u.s.f.

Und die christlichen Kirchen? Sie sind selber eingebrochen im anderen Sinn, eingebrochen  in Relevanzverlust und Ängstlichkeit; manche Funktionäre der Kirche versammeln sich wieder hinter erstarrten Dogmen und Normen und fremdeln mit der modernen Gesellschaft und dem synododalen Weg, wie beispielsweise der Pastoraltheologe Matthias Sellmann an Hand  von Studien über die kommende Führungsschicht der katholischen Kirche schreibt. Das geht doch gar nicht: Mit dieser Gesellschaft fremdeln? Das ist ja so, als wenn ein Arzt seine Patienten nicht leiden kann.

Dabei sagt doch gerade der Dreifaltigkeitssonntag: Selbst Gott ist in sich Begegnung und Beziehungsgeschehen, nicht einsam, sondern zweisam, dreisam und gemeinsam. Und heute sagt er uns: Ihr seine Jüngerinnen und Jünger, seine Christen,  seid alle kleine Propheten, wenn Ihr hingeht und die Beziehungsaufnahme nicht scheut, auch nicht zu denen, wo Ihr zunächst mal auf die Nase fallt. „Gott gib uns in dieser Zeit die Ausdauer, die Hartnäckigkeit und Geduld, den Geist Deiner biblischen Propheten.

Wenn die Propheten
mit den Sturmschwingen der Ewigkeit hineinführen
wenn sie aufbrächen deinen Gehörgang mit den Worten:
Wer von euch will Krieg führen gegen ein Geheimnis
wer will den Sterntod erfinden?

Wenn die Propheten aufständen
in der Nacht der Menschheit
wie Liebende, die das Herz des Geliebten suchen,
Nacht der Menschheit
würdest du ein Herz zu vergeben haben?


als pdf