Predigt vom 23.8.2020 – Jesus für Dich

2020-08-23_21._So._i._J.

Jesus für dich

Mt 16,13-20

Liebe Schwestern und Brüder,

stellen Sie sich vor, Jesus käme in diese Kirche, würde sich in den Mittelgang stellen und Sie fragen: Wer bin ich? Wer bin ich für dich ganz persönlich?

Wenn ich in den Seminaren, die ich ab und zu im Bergkloster Bestwig leite, diese Frage stelle, dann ernte ich oft Schweigen. Anders ist das, wenn ich frage: Wer ist Kirche für Sie? Dann bekomme ich jede Menge Antworten, die aber in der Regel fast alle negativ gefärbt sind.

So viele Kritikpunkte an der Kirche werden genannt:

  • Die Langeweile und Monotonie der Gottesdienste, durch die man sich schon als Kind quälen musste;
  • Das Finanzgebaren des Vatikans, der Reichtum mancher Diözesen;
  • Berichte über sexuelle Gewalt und Missbrauch nehmen kein Ende;
  • Immer noch geht die Kirche blind an der Gleichberechtigung der Frauen vorbei und verwehrt ihnen den Zugang zu höheren Ämtern;
  • Der Streit um die Zulassung geschiedener und Wiederverheirateter zur Kommunion ist nur noch verstörend;
  • Die Ökumene tritt bis auf ein paar Events auf der Stelle;
  • Selbst junge Priester zelebrieren die Messe wieder wie vor 80 Jahren, sie und viele ewig Gestrige stellen sich gegen Papst Franziskus, dem das Leben wichtiger ist als die Gebote und das Dogma.

Die Kirche ist in den letzten Jahren in dynamischer Weise ins Abseits der Gesellschaft geraten, wenn auch in ein finanziell luxuriöses Abseits. Der Mitgliederschwund hält unvermindert an. Manchen ist es sogar peinlich, katholisch zu sein.

Das Problem ist nur, dass unter diesem Berg von Kritik an der Kirche der begraben wird, um den es eigentlich geht, Jesus von Nazareth. Für mich persönlich kann ich sagen: Bei aller Kritik an der Kirche, und weiß Gott ich teile manche dieser Punkte, muss ich doch sagen: Es waren Räume wie dieser, kirchliche Räume, durch die ich den wertvollsten Menschen kennengelernt habe, der je die Weltbühne betreten hat, wie es Mahatma Gandhi einmal gesagt hat. Dieser Jesus hat durch die Kirche auch die Bühne meines Lebens betreten und mir Richtung, Orientierung und ethische Verantwortung ins Herz gelernt.

Die Kirche als das Grab Jesu? Das kann doch nicht sein. Ich persönlich habe mich jahrelang an manchen dieser Kritikpunkte an der Kirche gerieben und irgendwann festgestellt: Ich habe gar nicht die Macht, irgendetwas zu ändern. Also muss ich mich darüber auch gar nicht mehr ärgern, sondern stelle mich diesem Jesus persönlich gegenüber, der auch mich fragt, heute am 22. August 2020: Wer bin ich für dich, Ullrich Auffenberg.

Ich möchte Ihnen dazu ein Schlüsselerlebnis erzählen. Vor 20 Jahren, im Jahre 2000, war ich zu einem Klinikaufenthalt in den Medizinischen Hochschulen in Hannover und musste mich einer komplizierten Operation unterziehen.  Am Abend davor kam der Chefarzt zur Visite und fragte mich: Haben Sie Angst? Ich antworte: Ja manchmal mehr, manchmal weniger? Dann fragte er: Was sind Sie denn von Beruf? Ich sagte: Priester, Seelsorger. Darauf sagte er: Dann wissen Sie doch, woran Sie sich halten können.

Der Arzt hat mich darauf gebracht, mit einem Mantra in die OP zu gehen. „Jesus geh mit mir“: Mit diesem Satz ging ich in die Narkose, mit diesem Satz wachte ich wieder auf. Nein, Jesus hat an mir kein Wunder gewirkt. Er hat die OP nicht verhindern können, und wenn etwas schief gegangen wäre, hätte ich ihn dafür auch nicht verantwortlich machen können. Aber er hat mir eine innere Stärke gegeben, einen Halt, der die Angst verkleinert hat, die Gewissheit: Selbst unter deinen Abgründen ist noch jemand, der dich auffängt.

Darum beantworte ich die Frage „Wer ist Jesus für mich“ so: Einer der mir Halt gibt, an dessen Hand ich auch in den schweren Stunden meines Lebens gehen kann, der mir Gelassenheit ins Herz legt und manche Probleme harmloser macht, ein Begleiter, ein unsichtbarer Freund an meiner Seite. Heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, ohne diesen Jesus durchs Leben zu gehen, nicht wenigstens einige Male am Tag mit ihm im Gespräch zu sein.

Und dass finde ich das Gefährlichste an diesem Niedergang der Kirche in unserer Zeit, dass viele junge Menschen diesen Jesus gar nicht mehr kennenlernen als einen, auf den sie sich in der jeder Lebenslage beziehen können.

Als am 22. Februar 1943 die erst 21-jährige Widerstandskämpferin Sophie Scholl in München zur Hinrichtung geführt wurde, da begegnete sie auf ihrem letzten Weg ihrer Mutter. Und die Mutter sagte zu ihr: „Gell Sophie, halt dich an Jesus!“ Klar und sehr energisch antwortete die Tochter: „Ja Mama, Du aber auch!“

Das wünsche ich Ihnen, liebe Mitchristen, vom Evangelium dieses Sonntags, dass Sie einen Halt haben im Leben, und dass sie täglich mit diesem Halt im Dialog sein können. Amen.

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