2020-06-21_ Patronats-_ und_ Schützenfest
Stützmauern
Schrifttext: Mt 5, 22 ff
Liebe Schwestern und Brüder,
Siddinghausen ist an einen Hang gebaut. Das hat zur Folge, dass man an vielen Stellen Stützmauern braucht, um die Gebäude zu schützen vor Erdrutschen. In Siddinghausen dienen die Mauern also nicht der Abgrenzung – wie sie dem derzeitigen Präsidenten der USA immer wieder vorschwebt, sondern dem Schutz und der Stützung. So auch die Mauer im Norden der Kirche. Es hat mich sehr beeindruckt, wie liebevoll in den letzten Monaten Steinmetzarbeiter und Arbeiterinnen die Mauer wieder aufgebaut haben, allen voran Schiea, der gebürtig aus Syrien stammt. Gestern war Weltflüchtlingstag. Das muss man sich mal vorstellen, da kommt jemand aus den Trümmern eines Bürgerkriegslandes und baut hier die Kirchenmauer auf.
Er hat mir erklärt, dass er Steine von der alten Mauer mit neuen Steinen zusammenfügt, wie bei der Frauenkirche in Dresden. Das ist doch der Sinn eines Patronatsfestes, eines Schützenfestes, dass wir schützen, dass Menschen wie diese Mauer alte Werte bewahren und sie verbinden mit neuen Herausforderungen. Im Zentrum des großen Schützenfestsonntags steht normalerweise das Gedenken der Opfer der Kriege, des Völkermords und der Gewaltherrschaft hier an diesem Denkmal. Ist das alles jetzt 75 Jahre vorbei und geht uns nichts mehr an?
Denken wir nur mal zurück an das, was vor wenigen Wochen mit George Floyd geschah, der nach einem Polizeieinsatz in den USA zu Tode kam. Im Radio versetzte sich kürzlich eine Pfarrerin in die Perspektive des Polizisten, der mit seinem Knie getötet hat und sie fragte sich: Wie schafft man das? Also, wie schaffe ich es, mich auf den Hals eines anderen zu knien, auf seinen Rücken? Wie schaffe ich es, das minutenlang zu tun? Wie schaffe ich es weiterzumachen, wenn ich höre, wie er fleht: „Ich kann nicht atmen. “, weiterzumachen, wenn aus dem Bitten ein Weinen, aus dem Weinen ein herzzerreißendes Stöhnen wird? Wie schaffe ich es weiterzumachen, wenn ich spüre, dass unter meinem Knie der Körper erschlafft? Wie schaffe ich es weiterzumachen, wenn Leute, die dabei stehen, mich anflehen aufzuhören.
Keiner von uns würde das schaffen. Das schafft man nur, wenn man sich selbst absolut im Recht weiß und den Menschen unter sich für ein Stück Mist hält. Wie im Dritten Reich die Russen Untermenschen waren und die Juden Ungeziefer. Die darf man erschlagen mit einem Stück Holz. Es ist nicht schade drum. Es sind ja keine Menschen.
Dagegen ist Jesus in schärfster Form zu Felde gezogen, gegen diese Einteilung nach Rassen, Schichten und Klassen unter den Menschen. Für ihn gab es nur eine Rasse und die heißt Mensch, und sonst absolut nichts. Und töten beginnt nach Jesus nicht erst, wenn ein Land dem anderen den Krieg erklärt, Menschen auf einander schießen oder sich quälen.
Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einen Menschen in einen Herzinfarkt treiben. Man kann ihn beruflich fertigmachen, man kann ihn solange durch den Kakao ziehen, bis er im öffentlichen Leben jedes Renomee verloren hat. Man kann jemanden für viel Geld in eine schlechte Wohnung stecken wie die Werksvertragsarbeiter der Fleischindustrie, so dass er schon allein vom Wohnen krank wird.
Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einen Menschen links liegen lassen. Ihn passiv oder aktiv boykottieren. Man kann ihn spüren lassen: Nur ich bin der Tüchtige, der Nützliche. Man kann jemanden töten, wenn man ihn klein hält, demütigt…..Und nicht vergessen: Man kann ihn töten, indem man über ihn tratscht und quatscht.
Es gibt viele Arten zu töten. Nur wenige davon sind in unserem Staat verboten. Die meisten Formen zu töten geschehen lautlos, heimlich, stets mit sauberen Händen und gutem Gewissen.
Genau gegen diese subtilen Formen von Gewalt hat Jesus in allerschärfster Form seine Stimme erhoben. Im Evangelium heute sagt er: Wer Zorn gegen seinen Bruder hegt, gehört vors Gericht. Und wer zu seinem Bruder sagt: Du Null, wer ihn also auslöschen will wie eine Zahl, der verdient selbst das Todesurteil.“
Verachtung und Beleidigung sind in den Augen Jesu eine Form von Mord. Da wird nämlich auf der Seele anderer herumgetrampelt, bis dass sie nicht mehr leben können, bis die Seele schreit: Um mich herum ist so viel Missgunst: Ich kann nicht mehr atmen.
Unsere Seele ist wie Siddinghausen an einen Hang gebaut. Sie kommt ins Rutschen, gerät in den Abgrund, wenn man ihr Verachtung und Hass entgegenbringt. Und darum hat man hier nicht nur Stützmauern gebaut, sondern auch eine christliche Gemeinde, um die inneren Werte der Seele zu schützen. Gehen wir darum so liebevoll in der Gemeinde miteinander um wie der Steinmetz mit der Mauer an der Kirche. Wir sind nicht auf Erden, um einander aus- und abzugrenzen, sondern einander zu stützen. Denn nur gemeinsam besteht man dieses Leben, und nur das ganze Dorf kommt in den Himmel. Amen.