2018-03-11_Lichtblickgottesdienst
Erinnerung
Liebe Schwestern und Brüder,
Sie alle verbindet:
Ein geliebter Mensch ist gestorben: der Ehemann? Die Ehefrau? Der Vater, die Mutter? Eine Tochter, der Sohn, der Bruder, die Schwester….wer auch immer…ein Einschnitt in Ihrem Leben, der in manchen Zeiten nicht begreifbar, nicht tragbar, nicht aushaltbar erscheint. Manchmal denken Sie vielleicht: Wär ich nur mitgestorben. Ich will auch nicht mehr leben. Und doch schaffen Sie es? Sie schaffen es, jeden Tag aufs Neue am Leben zu bleiben, oder besser im Leben zu bleiben. Aber was ist das für ein Leben, in dem Sie vielleicht von einer Leere in die andere stürzen, von einem sinnlosen Tag in den anderen? Ich wünsche Ihnen Menschen, die mit ihnen sprechen und Sie fragen: Wie schaffst Du das mit deiner Trauer? Und Sie spüren vielleicht: Die Antwort liegt in Ihnen selbst, in ihrem Innern. Und Er-Innern ist ein Paradies, aus dem Sie niemand mehr vertreibt. Denn von dem Menschen, den Sie verloren haben, ist auch etwas in Ihnen geblieben. Auf vielen Todesanzeigen lese ich das so:
„Wenn durch einen Menschen etwas mehr Licht in dieser Welt war, etwas mehr Güte und Wahrheit, dann hat sein Leben einen Sinn gehabt. Schau auf das Licht , nicht auf den Schatten.“
Die Seele hat es gut eingerichtet, dass die Erinnerung verklärt, dass von einem verstorbenen Menschen mehr das Licht bleibt als der Schatten, mehr die Güte als die Konflikte und Missverständnisse. Und vor allem muss der Sinn bleiben. Sie, liebe Mitchristen, Sie alle würden jetzt nicht so traurig sein, wenn das Leben ihres lieben Verstorbenen nicht für Sie einen Sinn gehabt hätte, vielleicht sogar den einzigen Sinn.
Als im Jahre 2009 Teresa Enke, die Frau von Robert, dem deutschen Nationaltorhüter, der sich das Leben genommen hatte, den Tod ihres Mannes betrauerte, wurde sie gefragt, was sie denn tröste? Da hat sie einen Satz von Vaclav Havel, dem großen tschechischen Dichter und Staatspräsidenten, zitiert:
„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas einen Sinn hat, egal, wie es ausgeht.“
Teresa und ihre Familie leben bis heute davon, dass die wenigen Jahre, die sie mit Robert leben durfte, einen Sinn hatten, nicht nur für Fußballdeutschland, sondern vor allem für sie persönlich, weit über die Grenze des Todes hinaus. Ebenso der alte Mann Simeon im Evangelium. Als er dieses kleine Kind sieht, da weiß er, ich kann Abschied nehmen, denn meine Augen haben das Licht gesehen, sie haben den Sinn gesehen. Und der Sinn ist: Die, die gehen sind nicht tot, sie leben weiter in den Kindern, sie leben weiter in den Herzen, und sie leben weiter in dem ewigen Paradies Gottes.
„Wenn durch einen Menschen etwas mehr Licht in dieser Welt war, etwas mehr Güte und Wahrheit, dann hat sein Leben einen Sinn gehabt.
Der diesen Satz geschrieben hat, war der deutsche Widerstandskämpfer Alfred Delp, und er hat ihn geschrieben mit 38 Jahren im Keller des Gestapogefängnis, geschrieben mit gefesselten Händen auf ein Stück Klopapier. Ein mutiger Gefängniswärter hat diesen Satz und viele andere von Alfred Delp aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt. Ein anderer Satz heißt: „Was uns letztlich hält, ist nicht menschliche Kraft, das ist jenseitige Kraft, die nicht von Menschen, die von Gott kommt. Sie zieht uns immer wieder zum Licht, sie zieht uns zum Sinn, selbst wenn wir sterben.“ Und Delp ist 10 Tage nach diesen Sätzen hingerichtet worden. Es ist die Kraft – wie bei diesem Stehaufmännchen -, immer wieder aufzustehen. Die Kraft, aufzustehen, uns zu Licht zu bewegen, ist allen Lebewesen eingepflanzt, auch uns.
Erinnerung ist ein Paradies, aus dem uns niemand vertreiben kann. Im Paradies blühen Blumen, wie auf den Gräbern ihrer Angehörigen. Erich Kästner hat den Satz geprägt:
„Wer widersteht am ehesten den donnernden Zügen. Es sind die kleinen Blumen zwischen den Eisenbahnschwellen. Sie werden zu Boden gedrückt und stehen doch anschließend wieder auf.“ Sie alle, liebe Schwestern und Brüder, haben Einschnitte erlebt, die wie donnernde Züge über sie hinweggerollt sind. Ich wünsche Ihnen die Kraft aufzustehen, die wir lernen können, von Teresa Enke, von dem alten Mann Simeon, von Alfred Delp und von den kleinen Blumen zwischen den Eisenbahnschwellen.