2024-05-19-Pfingsten-
15 Jahre Zeltkirche Elkeringhausen – Der bewegliche Gott
Liebe Schwestern und Brüder,
ich freue mich, nach so vielen Jahren mal wieder hier zu stehen und mit Euch und mit Ihnen diesen Gottesdienst zu feiern. Direktor Andreas Rohde hat mich gebeten zu drei Fragen Stellung zu beziehen.
Die erste lautet: Wie kam es zur Gründung dieser Zeltkirche? Uns hat damals in den Seminaren dieser Bildungsstätte die Frage bewegt: Was ist in all den Begegnungen hier das spezifisch Christliche? Man kann doch beispielsweise Trauerkurse, Allein-Erziehenden-Seminare, Enneagrammkurse, Gesprächsführung, Yoga, Feldenkrais, QiGong, Heilfasten, Familienfreizeiten u.v.m., man kann das doch alles ohne Gott und Glaube machen. – Ist das so? Oder stellt man nicht immer wieder fest, dass man in diesen Seminaren zwar viel mitnehmen kann für die eigene Lebensgestaltung, dass aber auch immer wieder Fragen oder Probleme offen bleiben oder sogar unlösbar scheinen. Wenn ich aber glaube, dass Gott mit im Leitungsteam sitzt und im Kurs mit unterwegs ist, dann kann er die Instanz sein, an die wir im Vertrauen viel Ungelöstes abgeben können.
Darum am Ende der Kurse, freitags oder sonntags die Einladung an die Kursgruppen, im Gottesdienst in den Austausch zu kommen und in Form von Predigt-, Fürbitt-, und Gabenbereitungselementen an Gott abzugeben, was man noch auf der Seele hat. Dafür war irgendwann die Kapelle zu klein. So kam die Idee, eine Zeltkirche aufzubauen nach dem Vorbild von Taizè, wo ja viele Jahrzehnte ein Riesenzelt stand und jetzt noch fortlaufende Barackenelemente die Kernkirche ergänzen. Die Pfingstflammen des Hl. Geistes schmückten wie in Taizè in Form von riesigen roten und orangenen Stoffbahnen die Frontseite des Zeltes und eine Klagemauer aus Tonröhren lud wie in Taizè ein, in Form von Teelichtern die persönlichen Fürbitten in Form von Feuerzungen Gott anzuvertrauen. (Taizè ist voll und ganz eine Pfingstkirche) Schon bald fragten Menschen aus den umliegenden Gemeinden: Können wir nicht auch teilnehmen? Das suchen wir, offene Gottesdienste, in denen es um die Lebensprobleme geht. Kinder mit jungen Familien fühlten sich besonders angesprochen.
Die zweite Frage von Andreas Rohde lautet: Warum ist die Zeltkirche heute noch wichtig? Welches Bild von Kirche-Sein verbirgt sich dahinter?
Die Bibel sagt in vielen Bildern: Unser Gott ist ein beweglicher Gott, immer nahe bei den Menschen. Er residiert nicht in einem Palast hinter Betonmauern. Er zieht mit uns durchs Leben. So war das in der Explosionsgeschichte unserer jüdisch-christlichen Tradition: Exodus, Auszug aus dem Sklavenhaus Ägypten, Volk in der Wüste, Gott wohnt im Zelt. Oder Psalm 15: Wie gut ist es Gast zu sein in Gottes Zelt. Ein beweglicher Gott.
Es geht um die Verheutigung des Glaubens. Dazu gab es vor 60 Jahren, auf dem 2. Vatikanischen Konzil das Signal, aufzubrechen aus der Kirche fest gemauerter Dogmen, Liturgien und Normen, aufzubrechen in das wandernde Volk Gottes; und der bewegliche Gott zieht mit durch diese riesigen Zeltcamps, Baracken- und Flüchtlingslager unserer heutigen Zeit in Chittagong, Pakistan, dem Libanon, Gaza oder Port au Prince.
Der bewegliche Gott wohnt im Zelt, auch hier auf der Höhe von St. Bonifatius. Und ich freue mich, dass man ihm schon 15 Jahre dafür Raum gibt. In der Explosionsgeschichte des Neuen Testaments, der Reich Gottes-Idee des Jesus aus Nazareth, ist Gott nicht zu finden in den Weiten des Universums, sondern im Menschen und zwischen den Menschen. In ihm ist er erst recht der bewegliche Gott. Der Wanderer unterwegs in Galiläa von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, immer im Aufbruch zu den Menschen, unterwegs bis in die Katastrophe auf Golgotha, unterwegs aber auch danach, in der tiefen Trauer der Emmausjünger, unterwegs in der oft unfassbaren Trauer der Menschen bei den Kursen hier in St. Bonifatius. Gott ist beweglich, auch heute, in allem Leben, Leiden und Lieben der Menschen unserer Tage, unterwegs mit den Großen und Kleinen, den Kindern und Alten, den Armen und Reichen.
Dass er es auch nach den Gottesdiensten hier in der Zeltkirche bleibt, habe ich im Jahre 2010 einmal ganz konkret erlebt. Damals hatten wir beim Vater unser, dem Tischgebet der Eucharistie, die Kinder immer um den Altar versammelt. Einmal ging ich nach Winterberg in eine Pizzeria. Da saß da am Nachbartisch eine Familie mit zwei kleinen Kindern, die damals häufig in der Zeltkirche zu Gast war. Da stellte sich plötzlich die dreijährige Tochter auf den Stuhl, zeigte auf mich und sagte: Mama, guck mal, da ist Vater unser, und der isst Pizza. Der bewegliche Gott; er sitzt mit uns auf dem Ochsenkarren und bewegt sich zwischen den Kochtöpfen, hat Theresa von Avila gesagt. Manchmal isst er mit uns sogar Pizza. Und darum ist es schön, dass man hier in Elkeringhausen auch nach den Gottesdiensten eine Mahlzeit anbietet.
Die dritte Frage von Andreas Rohde geht in die Zukunft. Welche Bedeutung hat die Zeltkirche künftig für die Kirche, diese Region, das Erzbistum Paderborn?
Wir spüren es doch alle: Diese Zeit im Jahre 2024 vibriert, sie bebt, zittert, sie ist nervös, bisweilen sogar hysterisch: Rechtsruck, Kriege, Armut, Personalmangel in Kliniken und an anderen Orten, Klimawandel, Veränderungen, Vereinsamung, Verlust von Ethik und Moral. Hinzu kommen unzählige eigene Sorgen, Einbrüche von Krankheiten, Tod lieber Menschen. Was ist die Antwort des Christentums auf dieses Vibrieren? Kürzlich stand der unnachahmliche Pfarrer Franz Meurer aus Köln vor der Kamera und hielt diese beiden Bücher in die Kamera und sagte: Hier Leute, die müsst ihr lesen. Das eine ist das Buch von dem Soziologen und Philosophen Hartmut Rosa, Demokratie braucht Religion. Der sagt, wir leben in einer Welt ohne endgültige Visionen, wir laufen nur noch vor den katastrophalen Zukunftsprophetien davon. Ihr als Christen habt doch die Rituale, die den Menschen Hoffnung und Urvertrauen geben in eine ewig gültige Wahrheit des Lebens. Gestaltet sie so, dass sie den Menschen ins Herz fallen. Und das zweite Buch, das Meurer in die Kamera hielt, war dies von Navid Kermani, dem in Deutschland aufgewachsenen bekennendem Muslime „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“
Damals hatten wir mal in der Kapelle einen Gottesdienst mit drei Gruppen, die hier zu Gast waren. Da stand am Ende ein junger Mann auf und meldete sich zu Wort: „Ich bin Muslime. Aber mehr als 90 % von dem, was hier gebetet, gesungen und gesprochen wurde, kann ich unterstreichen.“ Da erhob sich ein anderer und sagte: „Ich bin Jude, mir geht es genauso.“ „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“ Die drei monetheistischen Religionen haben doch denselben Ursprung, den beweglichen Gott. Wunder von Pfingsten.
Darum braucht die Kirche unserer Tage diese Zeltkirche, weil sie Rituale braucht, die ins Herz fallen, und weil sie offene Kirche sein muss, die mit dem beweglichen Gott weiter zieht und auf andere Schritte zugeht.“