Predigt vom 17.3.2024 – Kafkaesk

2024-03-17-5.Fa.-So.- Kafkaesk

Liebe Schwestern und Brüder,

kafkaesk nennen wir das Leben, wenn es absurd, bedrohlich, rätselhaft wird, wenn wir das Gefühl haben, ganz ausgeliefert zu sein. Ist unsere Zeit so gesehen heute eine kafkaeske Zeit? Benannt nach Franz Kafka, der vor 100 Jahren, 1924, im Alter von erst 40 Jahren gestorben ist und heute mehr denn je gelesen wird. Das Lebensgefühl Kafkas drückt am ehesten diese Fabel aus: 

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.                (Franz Kafka, Kleine Fabel, in Die großen Werke, Bd.1, S. 501)

Ist das unser Leben, das mit zunehmenden Alter immer enger, angstvoller, leidender wird, und am Ende in der Falle landet oder von Kämpfen, Krankheiten, Katastrophen oder Kriegen gefressen wird?

Der Fehler liegt am Anfang, darin also, wie ich die Sicht meines Lebens bestimme, hedonistisch, nur im Genuss der mir sich bietenden Offerten, oder in Offenheit dessen, was links und rechts neben mir leben will. Dann sind da nicht Grenzen und Mauern, sondern Angebote zur Verbindung und Vernetzung des Lebens. Um es in der Sprache der Misereor-Aktion dieses Jahres zu sagen: Eine Bohne allein steht in Gefahr nicht zu zählen, zertreten zu werden wie die Maus. Aber viele Bohnen zusammen ergeben ein nahrhaftes Gericht. Und darum stellt Misereor die Frage: Interessiert mich die einzelne  Bohne, das erste und allerschwächste Glied in der Lieferkette? Oder sage ich: 

Es interessiert mich nicht die Bohne, ob in Kolumbien 90 % des Vermögens in Händen von 10 % der Bevölkerung, also vor allem der großen Agrarier-Bosse sind? 

Es interessiert mich nicht die Bohne, ob in den Kakaoplantagen in Ghana Menschen, oft sogar Kinder, für einen oder zwei Dollar Tageslohn die Kakaobohnen ernten, damit wir die Schockolade im Aldi für 70 Cent kaufen können; es interessiert mich nicht die Bohne, ob in den Bergwerken im Kongo oder an anderen Orten, Menschen 12 Strunden am Tag, oft wieder Kinder, auch für  ein bischen Tageslohn nach Coltan oder anderen Metallen oft mit bloßen Händen schürfen, nur damit unsere Smartphones und Batterien funktionieren? Oder interessiert mich die Bohne so sehr, dass ich einstehen möchte für ein gerechteres Lieferkettengesetz, dass nicht nur wieder meinen Wohlstand bedient, sondern ein paar Millimeter mehr Gerechtigkeit für die allerschwächsten Glieder der Kette bringt? Deutschland enthält sich beim Liefer-Kettengesetz! Und ich muss mich mit enthalten. Na – toll!!

Für mich ist seit 1980 der große Heilige von Misereor und der Passionszeit Oskar Romero, der Erzbischof von El Salvador, der am 24. März 1980 während der Messe hinter dem Altar erschossen wurde, weil er sich für die schwächsten Glieder der Kette eingesetzt hatte, die Campesinos seines Landes. Drei Tage vor seiner Ermordung hat er in einer großen Predigt, die über den Rundfunk 70 % der Menschen erreichte, Bezug genommen auf das heutige Evangelium und gesagt:

„Wer der Gefahr aus dem Weg gehen will, wird sein Leben verlieren; wer sich aber aus Liebe zu Christus im Dienst an den anderen verschenkt, wird leben wie das Weizenkorn, das nur anscheinend stirbt. Wenn es nicht sterben würde, bliebe es allein.“ Also das Weizenkorn, die kleine Bohne interessiert mich am meisten, sagt er. Dann fordert er im Namen des Weizenkorns zur Befehlsverweigerung auf. Wörtlich

„Brüder, Soldaten, Nationalgardisten, Polizisten, ihr gehört unserem Volk an. Ihr tötet eure eigenen Brüder unter den Bauern. Es ist höchste Zeit, dass ihr euer Gewissen wiederentdeckt und nicht länger sündhaften Befehlen gehorcht. Ich bitte euch, ich flehe euch an, nein ich befehle euch im Namen Jesu unseres Erlösers: Hört auf zu schießen. Werft eure Waffen weg.“ Diese Sätze waren sein Todesurteils wenige Tage später. Man stelle sich vor, der Patriarch von Moskau würde heute solche Worte sagen.

Das Gleichnis vom Weizenkorn sagt uns, das Leben endet vielleicht vor der Wand wie in der Kafka-Fabel die Maus; aber die Wand hat eine Tür. Denn im Dunkel entsteht Leben. Aber ob Du die Tür, das Leben findest, hängt entscheidend davon ab, ob du dich links und rechts vernetzt hast mit den kleinen Bohnen und Körnern, oder ob Du konsumistisch nur dich selbst gesehen hast.

Auch Franz Kafka ist am Ende nicht bei der Fabel der Aussichtslosigkeit stehen geblieben. Er hat gesagt: „Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem in ihm.“ Ich weiß nicht, ob wir durch Künstliche Intelligenz das Unzerstörbare in uns erreichen oder ausloten können. Wenn sie dem Prinzip Hoffnung, nicht den Machtinterssenten Einzelner dient, wenn sie also die Bohne, das Weizenkorn interessiert, wenn sie Leben ermöglicht, wachsen lässt, statt es zu beherrschen, dann ist sie ein Segen. Laotse sagt: Durch Nichtmachen ist alles gemacht. Gerade das siehst du am Weizenkorn, das siehst du an der kleinsten Bohne. Amen.


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