2024-04-14-3. Ostersonntag – Gib mir deine Hand
Liebe Schwestern und Brüder,
einmal habe ich einen Kollegen besucht, einen guten Freund. Gleich am Anfang sagte er: „Ich muss gerade noch meinen Nachbarn besuchen, der hat heute Geburtstag. Gehst Du mit?“ Als wir vor der Haustür des Geburtstagskindes standen, merkte ich an: Was schenken wir ihm denn, wir haben ja nichts in der Hand. Darauf antwortete der Kollege: „Geben wir ihm doch einfach die Hand.“ Ich fand das ziemlich peinlich.
Aber was bedeutet denn die Geste des Handgebens als Begrüßung oder als Vermittlung guter Wünsche? Dem anderen die Hand zu geben ist ein uraltes, archaisches Ritual aus der Zeit, als die Menschen noch in Stammesverbänden lebten und sich ständig verteidigen mussten. Es will sagen: Ich komme mit offenen Händen zu dir, ich habe keine Waffen in der Hand. Ich habe sozusagen nichts gegen dich in der Hand. Ich akzeptiere dich, wie du bist.
Im heutigen Evangelium sagt Jesus schon zum zweiten Mal in den Ostergeschichten: Seht meine Hände. Es sind offene Hände; ich habe nichts gegen euch in der Hand; es sind sogar verwundete Händen; ich habe keinerlei Rachegedanken gegen irgendjemand; Darum heißt meine Begrüßungsspruch: shalom alechem, Friede mit euch.
Dann heißt es später: er erklärt ihnen den Sinn der Schriften, was ja nichts anderes heißt als den Sinn des Lebens.
Dieser Sinn zeigt sich zuerst ist seinem Verhalten: Gott ist einer von uns;
Er isst mit uns, er leidet mit uns, er wird mit uns verletzt und gekränkt.
Das zweite bedeutet: Es gibt etwas Unzerstörbares in Christus und somit auch in uns. Es gibt eine Lebenserfüllung, ein Leben in Fülle, ein ganzes Leben. Diese Physische Existenz mit all ihren Einschränkungen und Verwundungen ist lange nicht das ganze Leben, nicht das Leben in Fülle.
Die Botschaft lautet: Wollt ihr ein ganzes, ein gelingendes Leben führen, dann schaut auf mich, schaut auf Christus, schaut auf den verwundeten und am Ende ermordeten Gott.
Und am Ende steht die Vergebung, die persönliche Vergebung, dass ihr euch eure Schwächen und Schattenseiten vergeben könnt, dass ihr sie also integrieren könnt in das ganze Eures SELBST, eurer Person.
Seht meine Hände, meine Füße, schaut mich an und ihr werdet ganze Menschen, mit sich selbst zufriedene Menschen. Dazu gibt es auch unter Menschen Beispiele.
Vor Jahren hatte ich mal Orientierungstage für Schüler der 9. und 10. Klasse einer Hauptschule. Mit mir im Leitungsteam waren zwei junge Frauen, Beate und Magdalene. Die eine, Magdalene, war körperlich sehr beeinträchtigt, wie die kontergangeschädigten Menschen, ohne Arme und Hände, nur ein paar Fingern an den Schultern. Beate war gerade in einer sehr depressiven Phase. Sie hatte ständig Probleme mit ihrem Auftreten aus Furcht vor den Schülern, die sie nicht akzeptieren könnten. Sie war sehr zurückgezogen und schweigsam. Hatte einfach Angst.
Eines Abends während einer Leitungsteamsitzung, als Beate wieder ihre Bedenken und all die Vorbehalte äußerte, da sagte Magdalene plötzlich ganz energisch: „Mensch Beate, guck mich doch mal an, wie ich aussehe, ein Mädchen ohne Hände und Arme. Was glaubst Du, wie sie mich schon im Kindergarten und erst recht in der Schule deswegen gehänselt und verspottet haben; „Guckt euch mal die Magdalene an, die hat noch nicht einmal richtige Hände“. Wie oft habe ich nachts in mein Kopfkissen geheult und gebetet. Aber irgendwann habe ich mir gesagt: Du bist so wie Du bist. Es gibt keine andere Magdalene. Wer mich so haben will, das ist in Ordnung. Und wer mich so nicht haben will, der soll es bleiben lassen. Mit dieser Einstellung ging sie in die Schulklassen und gewann die Sympathien der Schüler.
Das gilt für jede und für jeden von uns. Es gibt mich nicht anders. Aber dass ich das werde, der oder die ich bin, liegt allein in meiner Hand. Und vielleicht ist dieser Individuationsprozess auch ein Stück Auferstehung. Ich kann mir meine Schwächen und Schattenseiten vergeben und mein innere Stärke entwickeln wie Magdalene.