Predigt vom 19.3.2023 – Vierter Fastensonntag

2023-03-19_4._Fa.So.

Das Wesentliche sehen

Joh 9,1.6-9.13.34-38

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Das Stück „Wilhelm Tell“ von Friedrich Schiller, spielt in der Schweiz vor 600 Jahren während der Freiheitskriege. Wir kennen zumeist die Szene, wie der Landvogt Gessler von Wilhelm Tell verlangt, seinem Sohn mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf zu schießen. Der Schuss gelingt, der Pfeil trifft den Apfel. Aber in dem Stück gibt es auch den blinden Heinrich, der im Krieg sein Augenlicht verloren hat. Über ihn dichtet Schiller:

„O eine edle Himmelsgabe ist

Das Licht des Auges – Alle Wesen leben

Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf –

Die Pflanze kehrt freudig sich zum Lichte,

Und er, der Blinde, muss sitzen,

fühlend in der Nacht, in seiner Finsternis

denn leben und nicht sehen

Das ist ein Unglück.“

Die jetzt bald im Frühling explodierenden Farben, wenn das Auge sie nicht sehen könnte, was würde uns entgehen. „Leben und nicht sehen, das ist ein Unglück.“ Im heutigen Evangelium  nimmt Jesus einen unglücklich blinden Menschen wahr. Denn behinderten Menschen ging es damals nicht anders als zu Schillers Zeiten. Es gab keine Behindertenprogramme, geschweige denn Blindenschulen oder behindert gerecht eingerichtete Gebäude. Kranke Menschen und behinderte Menschen wurden einfach aus der Gesellschaft ausgegrenzt und mussten ein elendes Betteldasein vor den Toren der Stadt fristen. Ab und zu warfen ihnen die Vorbeigehenden mehr oder weniger verächtlich eine Münze zu.

Jetzt kommt Jesus vorbei und macht das genau anders: Er gibt diesem Blinden alle Zuwendung, die er zu geben imstande ist. Das geschieht auf ganz merkwürdige Weise. Er spuckt auf die Erde, rührt mit seiner Spucke einen Teig an und streicht diesen Teig auf die Augen des Blinden.  In einem Familiengottesdienst fragte einmal die Gemeindereferentin bei der Katechese über dieses Evangelium die Kinder: Was  würdet ihr zu Jesus sagen, wenn er euch einen Teig mit Spucke auf die Augen streichen wüde. Da antwortete ein Kind: Ich würde sagen“Jesus, hast du noch alle Tassen im Schrank?“

Und wir Erwachsenen? Wie  wirkt das auf uns? Möchte man da nicht am liebsten schreien: „Igitt, Pfui, was ist das denn?“

Aber wenn zwei Menschen sich lieben, dann ist das kein Problem, diese Berührung mit dem Speichel z.B. bei einem Kuss. So gern hat Jesus die ausgegrenzten Menschen, so gern wie zwei Liebende. Jesus durchbricht die Schranke der Verachtung und alle Formen von Ausgrenzung.

Liebe Schwestern und Brüder, ich fahre gleich noch nach Eichstätt zum Grab der heiligen Walburga, eine bedeutende Frau aus der Anfangszeit des Christentums in Deutschland, eine Nichte von Bonifatius.

Unter dem Sarkopharg der Walburga entspringt eine Quelle, aus der ganz zähflüssig das Wasser tropft wie Öl. Darum spricht man vom Walburgaöl. Dieses Wasser gilt als heilbringend und wird in kleine Fläschchen abgefüllt und an ganz verschiedene Wallfahrtsorte in Europa verteilt, unter anderem auch nach Wormbach bei Schmallenberg, der Urpfarrei des Sauerlandes. Dort veranstalten wir im Mai die Walburga-Wallfahrtswoche, die es seit dem Mittelalter gibt. Endlose Scharen von Menschen sind über die Jahrhunderte dorthin gepilgert, nicht nur wegen Gottesdienste und Feste, sondern vor allem wegen des Augensegens. Da wird nach alten Brauch mit einer Feder den Menschen dieses Walburgaöl auf die Augen gestrichen. Und manchmal, wenn dann Kinder in ganzen Schulklassen vor mir stehen, schauen sie mich auch fragend an, als wollten sie sagen: Warum machst du das? Hast du noch alle Tassen im Schrank. Wie gesagt: Im Mittelalter, zu Wilhelm Tells Zeiten, da gab es keinen Augenärzte, Augenkliniken oder Sanatorien. Da holte man sich einen solchen Segen in der Hoffnung auf Heilung, auf Schutz der Augen und der Seele.

Heute müssen wir aufpassen, dass solche Rituale nicht magisch verstanden werden und müssen sie neu deuten. Ich denke, diese Deutung liegt tatsächlich in dem Satz: Die Augen sind die Fenster der Seele. In einem modernen Musical über Bonifatius gibt es eine Scene, wo Bonifatius nicht vor den Menschen des 8. Jahrhunderts, sondern vor den heutigen Menschen mitten in unserem Lande steht und singt dann von diesen Menschen: „In ihren Blicken offenbaren die Menschen ihre Seelen, sie sind geplündert und verwüstet, doch heißt der Mensch nicht Mensch, weil er nach Liebe dürstet? Sie haben Angst, die nächsten Schritte ihres Lebens anzugehen. Doch heißt der Mensch nicht Mensch, weil er um Erlösung bittet?
Gib mir Kraft Herr, Deinen Namen in jedes Herz zu schreiben, mach mir alle Herzenstüren auf, Gib mir Kraft Herr, Deinen Namen in alle Welt zu schrein; Denn die Antwort auf alle Fragen, sie liegt in Dir allein.

Die Augen sind die Fenster der Seele. Indem Jesus die Augen wie bei einem Kuss berührt, streichelt er in Wirklichkeit die Seele dieses Menschen. Denn in unserer oft so kalten und anonymen Zeit haben wir doch die Wärme, die Zuwendung Gottes so bitter nötig.

Frei nach Schiller möchte ich sagen: Leben müssen und nicht sehen, leben müssen und in seiner Seele kein Licht, keine Wärme, keine Erlösung zu erfahren, das ist ein Unglück. Amen.

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