Predigt vom 20.12.2020 – Vierter Advent – Die Liebe hört nicht auf

2020-12-20-Vierter_Advent : Die Liebe hört nie auf

Lk 1,26-38

Liebe Schwestern und Brüder,

Ein Sprichwort sagt: „Ehen werden im Himmel geschlossen und auf der Erde gelebt.“ In diesem Jahr mussten viele Brautleute ihre Hochzeiten absagen, und ich habe einige von ihnen erlebt, die darum sehr traurig waren. Manche wurden auf das Frühjahr 2021 verschoben. Und es ist immer noch nicht klar, ob sie dann stattfinden können.

In einem Adventskalender erfuhr ich von einem ganz besonderen Brautpaar, von Anne und Franz aus Aarhus in Dänemark. Sie hatten die Hochzeit für den 21. März 2020 geplant, zu dem Zeitpunkt, da die erste Coronawelle immer stärker wurde, und die Regierung nur noch Zusammenkünfte mit zehn Personen erlaubte. Was tun? Die Hochzeit verschieben? Das ging nicht, sagte der Arzt. Sie haben keine Zeit mehr. Denn Anne hatte ein Rückgratkarzinom, das in den ganzen Körper gestreut hatte. Anne stirbt bald. Franz Mutter hatte die Idee. Wir feiern ein virtuelles Fest. Die Mutter stürzte sich in die Arbeit, verschickte Einladungen, Tischkarten und Luftballons an die Gäste. Am 21. März, 15.00 Uhr, war es so weit. 93 Gäste, alle in Corona-Selbstisolation hatten sich eingeloggt zu einer Videokonferenz. Und alle trugen festliche Kleidung. In ihrer Wohnung zu Hause saßen Franz in Anzug und Fliege und Anna im weißen Kleid vor dem katholischen Priester, der sie traute, nur im Beisein der Trauzeugen. Nach der Zeremonie gingen alle in ihre eigene Küche, holten das Festmahl herbei, das jeder selbst vorbereitet hatte. Sie schalteten den Videoapparat wieder ein und aßen gemeinsam. Sie prosteten sich über Video zu, jemand spielte Lieder am Klavier und sie schunkelten. Sie weinten und lachten und sie freuten sich. Erst spät abends ging das Fest zu Ende.

Hochzeit im Corona-Jahr 2020. Ehen werden im Himmel geschlossen, und auf Erde gelebt? Nein, Ehen werden im Himmel geschlossen und zwischen Himmel und Erde gelebt. Wieviele Menschen gibt es auch hier in Wewelsburg, deren Ehepartner gestorben sind.

Einen Menschen lieben heißt ihm zu sagen: Du wirst nicht sterben.“ So lautet ein Satz des französischen Philosophen Gabriel Marcel. Natürlich musste Franz seine Anne biologisch sterben lassen. Aber ihre kurze Geschichte miteinander wird niemals sterben, weil sie ins Herz eingraviert ist. Das muss jetzt nicht bedeuten, dass Franz keine andere Frau mehr heiraten und mit ihr Kinder haben darf. Ganz im Gegenteil: Wirkliche Liebe verbietet nicht, grenzt nicht aus. Anne wird ihrem Franz das wahrscheinlich sogar gönnen. Und im Himmel lösen sich konkrete Beziehungen sowieso auf. Da geht es um alle umfassende Liebe, um All-Versöhnung. Liebe Mitchristen, diese kleine Geschichte zeigt mir, worum es Weihnachten geht, worum auch in der Geschichte des heutigen Evangeliums. Der Engel, Gottes Bote fliegt nicht ein im riesigen Tempel von Jerusalem bei den Pharisäern und Hohenpriestern, auch nicht im Petersdom oder in der Kathedrale in Paderborn, sondern in einer kleinen Hütte in einem Nest am Rande der Welt, in Nazareth, bei einem vielleicht 14-jährigen Mädchen. Und Gott wird nicht Fleisch auf den Ältären der großen Dome, sondern Mensch bei den Asozialen der damaligen Zeiten, bei den Hirten, die gerade noch gut genug waren die Schweine der Reichen zu hüten.

Was heißt das heute für uns? Wir haben es gesehen, er wird Mensch, bleibende Liebe in Franz und Anne. Er tritt aber vielleicht auch ein wie ein Engel in die Gefängnisse von Belarus oder Hongkong. Das osteuropäische Hilfswerk Renovabis berichtet, dass in Belarus viele Priester und Ordensleute inzwischen in den Focus des Lukaschenko-Systems geraten sind. Es reicht in Belarus aus, wenn man auf der Kanzel die Weihnachtsbotschaft verkündet, wenn man also sagt, man sei für Frieden und gegen Gewalt. Dann wandert man für einige Wochen ins Gefängnis. Ist das nicht ein Treppenwitz der Geschichte: In Belarus streben die Menschen wie 1989 in Leipzig in die Kirchen, um sich von Gott und der Gemeinde anstecken zu lassen mit Mut, Zuversicht und Zivilcourage. Bei uns meiden viele die Gottesdienste, weil sie fürchten sich mit einem Virus anzustecken. Ist die Angst größer als die Sehnsucht nach Zuversicht aus dem Glauben. Nur ein Frage, mehr nicht.

Der Engel, der Bote Gottes kommt in Hütten, durchbricht Gefängnis-mauern? Was heißt das für uns in diesem harten Lockdown.

Vielleicht will der Engel Gottes unsere verriegelten eingemauerten Herzen entriegeln. Soziologen sagen, diese Coronazeit zeigt, wie stark unsere Gesellschaft eine Ich-Ich-Ich-Gesellschaft geworden ist. Weil so viele sagen, Ich lasse mir meine Rechte nicht nehmen, gehe trotzdem auf die Strasse, feiere Feten auch ohne Maske, ich lasse es mir nicht verbieten, das Leben zu genießen, darum leiden jetzt viel mehr Alte, Kranke also vorher und alle die, die versuchen sie zu heilen und zu pflegen. Liebe Schwestern und Brüder, ich kann Unverbesserliche nicht ändern, ich kann nur versuchen, mein eigenes Herz zu entriegeln und zu öffnen für Gott und die Menschlichkeit.

Mit gefesselten Händen hat der Jesuit und Widerstandskämpfer Alfred Delp Weihnachten 1944 aus dem Gefängnis treffend beschrieben, was Weihnachten ist. Sinngemäß heißt

„Nicht das ist Weihnachten, ein süßes Märchen mit „Leise rieselt der Schnee“ mit Pelzmänteln und neuen Autos, Marzipan und Lichterblen-dung, modernen Smartphones und Tablets. Weihnachten ist, dass Gott uns anrührt, weil das Schicksal so vieler auch sein Herz gebrochen hat, dass er deshalb unsere Hände greift und sie an sein gebrochenes Herz legt, dass Gott zu uns kommt und uns frei macht. Dass er zu dir sagt – wie heute im Evangelium – ich bin dein Immanuel, dein Gott mit Dir. Nur durch dich kann ich den Himmel öffnen, nur durch dich kann ich Trost sein für Leidende, nur durch dich kann ich die verriegelten Herzen erlösen. Sagt es allen, nur das ist Weihnachten, dass Gott unser Herz berührt, und nicht das andere.“


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