Predigt vom 19.4.2019 – Karfeitag

2019-04-19_Karfreitag

Liebe Schwestern und Brüder,

Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär.

Und der bleierne Schatten, der niederfällt, lastet grabesschwer.“

So dichtet die aus Deutschland vertriebene jüdische Schriftstellerin Else Lasker Schüler in ihrem Jerusalemer Exil in den vierziger Jahren, als sie zerrissen wird vom Heimweh nach Deutschland.

Wenn ich die letzte Zeit betrachte, dann wiederholt sich das:

Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär.“

In Paris ist die Notre Dame abgebrannt, die ehrwürdige Dame der Stadt, die Kirche unserer Lieben Frau. Es ist zum Weinen, nicht nur für die Franzosen.

Ein Bus verunglückt auf Madeira. Verzweifelte Angehörige, Verletzte.

Ich gehe auf die Intensivstation eines Krankenhauses. Schwer kranke Menschen vom 14-jährigen Kind bis zum Greis. Auf den Fluren vor der Station verzweifelte Angehörige.

Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär.“

Ich habe Ihnen das Pressefoto des Jahres mitgebracht, aufgenommen am 11.April 2019. Es heißt „crying girl on the border“, weinendes Mädchen an der Grenze, zwischen Mexiko und den USA. Eine Szene bei Nacht. Ein Scheinwerfer erleuchtet diese Scene. Ein Grenzpolizist untersucht eine Frau. Zu deren Füßen ein zweijähriges Kind. Es weint herzerreißend. Einen Monat lang war dieses Kind mit der Muttrer unterwegs von Honduras bis zur amerikanischen Grenze. Jetzt ist Feierabend. Notre Dame kann man wieder aufbauen. Aber wer heilt die Trümmer, die Traumata in der Seele dieses Kindes?

50 Millionen Menschen sind zur Zeit auf der Flucht in dieser Welt. Sie können nicht vor und zurück. Denn das Land, wo sie her kommen, ist für sie kein guter Ort zum Leben. Und da, wo sie hin wollen, will sie keiner haben. „Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär.“

Heute am Karfreitag ist der liebe Gott tatsächlich gestorben.“ Und er stirbt den unmenschlichsten aller Tode. Zuerst ausgepeitscht, am ganzen Körper blutend, dann mit letzter Energie den schweren Kreuzesbalken den Berg hochschleppend. Dann nackt und blutend aufgehängt , verurteilt zu sein über endlose Stunden den schlimmsten aller Tode zu sterben, den Erstickungstod, unmenschlicher geht es nicht mehr.

Und doch tritt dieser Jesus kurz vorher, bei der Gerichtsverhandlung, wo das Urteil schon feststeht, mit einer unglaublichen Souveränität auf, vor allem dem Pilatus gegenüber. Mit großer Wucht schleudert er den Pilatussen unserer Welt, den Erdogans, den Putins, den Trumps, Orbans, all den Wirtschaftsmagnaten und korrupten Politikern die Aussage entgegen: Für die Wahrheit bin ich in der Welt . Wahrheit ist allein, dass es auch für euch am Ende eures Lebens ein Gericht geben wird. Dann wird es zur schmerzlichen Erkenntnis kommen, dass nicht Macht, sondern allein Liebe und Gerechtigkeit der Sinn des Lebens sind.

Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär.“

Am Karfreitag 2019 weint Gott mit diesem Kind und mit allen Heimatlosen. Aber das sind wir alle, Heimatlose. Denn Heimat ist, wo noch niemand war. Heimat ist Himmel. Und darum teilen wir doch das bischen Heimat, was wir hier manchmal haben mit denen, in denen uns der liebe Gott weinend entgegenkommt. Amen.

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