2018-10-21 29. So. im J. – Schrifttext Mk 10, 35-45
Vertrauensverlust der Kirche
Liebe Schwestern und Brüder,
in diesen Wochen wird viel geredet vom Niedergang der Volksparteien, dem Vertrauensverlust der Bundesregierung. Ich frage mich: Erleben wir nicht als Volkskirchen ähnliche Abbrüche, vor allem auch als katholische Kirche. Der zentrale Bestandteil katholischen Glaubens, der Gottesdienstbesuch am Sonntag, ist inzwischen in Deutschland auf unter 10 % gesunken. In meiner Kindheit waren es noch über 50 %. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa macht regelmäßig eine Umfrage mit der Frage: Welche Organisation genießt bei ihnen das meiste Vertrauen? Von 25 genannten Organisationen steht die katholische Kirche an 18. Stelle. Ganz oben stehen die Universitäten, die Polizei, Schulen, der Bundespräsident. Selbst die Bundesregierung steht in dieser Rangfolge des Vertrauens noch an 10. Stelle, die evangelische Kirche an 12, die katholische an 18.? Hier stimmt doch was nicht.
Woher kommt dieser Riesenverlust des Vertrauens in unserer Kirche? Da fallen uns natürlich sehr schnell der Reichtum der Kirche ein, das Bischofshaus in Limburg und der Skandal des sexuellen Missbrauchs, der die Kirche an den Rand eines moralischen Abgrunds geführt hat. Dass Menschen, die man noch vor einer Generation mit Hochwürden angesprochen hat, die Würde von Kindern verletzt haben, das will in viele Köpfe nicht mehr Eingang finden.
Und dann in der vorletzten Woche die Empörung über das rätselhafte Wort des Papstes von der Abtreibung die Auftragsmord sei. Dieses Wort trifft ja nicht Menschen, die sowieso leichtfertig mit dem ungeborenen Leben umgehen. Die lachen da nur drüber. Es trifft unter anderem überzeugte und engagierte Christinnen, die sich ohnehin schwer belastet fühlen, weil sie vielleicht schon vor Jahren einen Abbruch vornehmen lassen mussten. Eine Frau sagte mir bei einem Seminar im Sauerland in dieser Woche: Das wird man nie los. Diese engagierten Frauen spüren jetzt noch einen größeren Gewissensdruck. Dabei meinte der Papst gar nicht die Frauen. Er meinte zu Recht die Systeme, die oft leichtfertig einen Abbruch verordnen. Er wollte vor allem das behinderte ungeborene Leben schützen. Denn Fakt ist z.B., dass in Deutschland durch neue Methoden der pränatalen Diagnostik 90 % der Downsyn-dromkinder gar nicht mehr auf die Welt kommen. Dass das nicht unserem christlichen Menschenbild entspricht, muss der Papst, müssen die Kirchen einklagen. Aber warum in dieser Sprache?
Aber zurück zu unserer Frage: Was ist zu tun in dieser Situation des Vertrauensverlustes der katholischen Kirche?
Ich fürchte, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, dass uns bei der Kritik an der Kirche Jesus verloren geht.
Mahatma Gandhi hat das Neue Testament einmal die wertvollste Botschaft genannt, die die Welt je erreicht hat, die Botschaft von Gewaltlosigkeit und Barmherzigkeit. Um es in der Sprache des heutigen Evangeliums zu sagen, dass die Menschen von niedrigsten Rang, dass also die Ärmsten der Armen diejenigen sind, die vor Gott das größte Ansehen haben. Ich glaube, wir müssen uns als Kirche wieder auf diese Wurzeln besinnen und versuchen, das Evangelium zu leben. Einer, der das getan hat, ist am letzten Sonntag in Rom heiliggesprochen worden: Der Erzbischof von San Salvador, Oskar Romero. Er war vom hohen Bischofsstuhl herabgestiegen und ließ sich für die Ärmsten seines Landes ermorden. Radikal hatte er Partei ergriffen für die armen Landarbeiter gegen die Großgrundbesitzer und die Militärdiktatur. Am 24. März 1980 erschoss man ihn bei der Messe, als er gerade die Hostie zur Wandlung hob. Das war ein Auftragsmord, ein Mord am Altar.
Ich denke, wir sollten heute in unserer Kirche die Wege gehen wie damals und heute die Christen in Lateinamerika, Basisgemeinden, kleine Gemeinschaften gründen, in denen über das Evangelium gesprochen wird und wie man es umsetzen kann im jeweiligen Dorf oder der jeweiligen Stadt. Wir sollten die Seelsorge intensivieren, Beziehungen leben, von Mensch zu Mensch gehen, da wo sie leben und leiden. Zu Hause, in Krankenhäusern, in Schulen, wo auch immer. Ob man dafür den Zölibat auf den Prüfstand stellen muss, wie Kardinal Marx sagt, weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall brauchen wir wie in der Dritten Welt Laienführer in den kleinen Einheiten, die für diese Seelsorge sorgen.
Jesus wollte eine Kirche der Begegnung. Denn seine Vorstellung vom Reich Gottes gilt nicht nur für das Jenseits, sondern auch für diese Welt. Eine Gemeinschaft ohne Oben und unten, ohne Hierarchie, eine egalitäre Gemeinschaft. In diese Gesellschaft kann man eintreten ohne jede Vorbedingung, ohne Passwort, Ausweis oder Beichtverhör. Das ist die Gesellschaft der Gleichwertigkeit von Menschen. Denn was bei uns oft als so besonders gilt, zählt bei Gott nicht: Die Titel, die Orden, die 1a – Zeugnisse und Zertifikate, der Glanz einer Halskette oder die Höhe einer Mitra, all das interessiert diesen Jesus nicht. Ihn interessieren allein die Person und die Menschlichkeit. Das ist das Herzstück unseres christlichen Glaubens. Romero hat das gelebt. Und darum hat sein Volk ihn schon vor 38 Jahren heiliggesprochen, z.B. mit diesem Gebet:
Heiliger Romero, Hirte und Märtyrer Amerikas,
armer Hirte, gemordet für Geld, für Dollars, für Devisen,
wie Jesus, auf Anordnung des Imperiums,
Heiliger Romero, Du hast die Armen begleitet,
die so verwundet und verzweifelt an dich glaubten,
Du hast mit ihnen geweint
Wie Jesus im Garten von Gethsemane,
und weil du lebtest, was Du sagtest,
hatten deine Worte größere Kraft als
die mächtigen Glocken einer Kathedrale.
Heiliger Romero,
Du hobst den Kelch des Altares,
und er wurde für dich der Kelch des Blutes,
vergossen für so viele Menschen in deinem
Volk von El Salvador.
Romero,
heiliger Amerikas, Du unser Martyrer,
niemand wird deine letzte Predigt
je zum Verstummen bringen,
in der Du den Soldaten verbieten
wolltest, nie wieder auf einen
Menschen zu schießen.
Heiliger Romero,
Martyrer des Friedens.