Predigt vom 1.5.2022 Trauer nicht weg-ostern

Trauer nicht weg-ostern-wegtrösten

Joh 21,1-19

Liebe Schwestern und Brüder,

es sind traurige Tage bisher gewesen in diesem Jahr 2022, die uns führen auf Schlachtfelder, wo man selbst Kinder Frauen, Greise, Kranke sinnlos mordet, verhungern oder an Verletzungen ohne medizinische Versorgung sterben läßt.

Die Traurigkeit wird noch stärker, wenn man erlebt, wie ein so positiver Mensch wie Wiltrud Schlüter und so viele andere auch aus diesem Dorf  so plötzlich aus dem Leben gerissen werden, oder nach langem Leiden Abschied nehmen mussten. Aber das Gefühl  aller Angehörigen ist das gleiche:  Sie fühlen sich verlassen, sehen den geliebten Menschen immer noch durch die Türe kommen, brauchen ihn, können sich nicht mit seinem Tod abfinden.  Diesen Satz einer jüdischen Schriftstellerin können sie bestätigen: „Den eigenen Tod, den stirbt man selber nur, doch mit dem Tod der anderen muss man leben.“ (Mascha Kaleko)            Und es ist nicht so wie im heutigen Evangelium, dass Auferstehung sehr leibhaftig ist; Jesus steht am anderen Ufer des Sees. Unsere Verstorbenen, sie stehen nicht am anderen Ufer der Alme. Sie sind weg, sie fehlen. Früher hat man die Menschen getröstet mit Glaubenssätzen wie diesen: Glaub an Ostern, an die Auferstehung und das ewige Leben. Aber unser Schmerz, unsere Trauer lassen sich nicht einfach wegostern, wegtrösten, ausradieren.

Aber wie  kann man weiterleben, ohne zu versteinern, zu verbittern?

Ein Weg ist, auf das zu schauen, was von dem oder der Verstorbenen in uns bleibt, wovon wir künftig leben. Bei Frau Schlüter ist es für mich die Aufforderung: Schaut auf die Wurzeln und auf die Fundamente Eures Lebens. Sie hat intensiv die Wurzeln dieser Gemeinde, dieses Dorfes und dieser Kirche studiert. Von ihr weiß ich z.B., dass es im nächsten Jahr, am 25.06.2023, 300 Jahre her ist, dass der Grundstein zu dieser Kirche gelegt wurde. Im Jahre 1727 wurde sie eingeweiht. Was hat es damals geheißen, in nur vier Jahren eine solche Kirche zu bauen, ohne Kirchensteuerzuschuss, ohne Bagger, LKW, Raupen oder Baukräne. Jede Portion Erde mit Spaten und Schüppe, jeder Stein mit der Hand bewegt, und das neben der anderen existentiellen Arbeit für die Familie.

Warum war unseren Vorfahren das so wichtig. Weil man einen Ort braucht zum Still-werden, zum Klagen, Hoffen und Schreien, zum Jubeln, danken Jauchzen, einen Ort, an dem die Seele sich erheben kann über den zermürbenden und grauen Alltag hinaus, an dem die Seele Auferstehung feiert. Wenn diese Steine sprechen könnten, dann erzählten sie dir vom Wetter, selbst geschliffen in Wind und Sturm, gebrannt unter sengender Sonne, gebürstet in Hagel und Schnee

Und sie berichten dir von den Menschen, die Tag für Tag hier ein- und ausgingen von ihren Nöten und Fragen, Sorgen und Hoffnungen, endlosen Leid und grenzenlosen Glück.

Im Evangelium gibt Jesus den Jüngern, die total frustriert waren, weil sie die ganze Nacht malocht hatten, aber nicht einen einzigen Fisch gefangen hatten, den Rat: Werft eure Netze an der rechten Seit aus.

Was soll das? Ist das nicht egal, rechts oder links? Wenn ich die Geschichte weniger historisch und mehr symbolisch verstehe, dann komme ich darauf, dass z.B. im Gehirn die rechte Seite die Seite des Gefühls ist. Jesus sagt den Jüngern: Arbeite, schufte, maloche weniger und nimm dir Zeit für die andere Seite: Lass deinen Gefühlen freien Lauf.

So gesehen ist doch der Rat, den Jesus gibt, nichts anderes als was unsere Vorfahren uns nahe legen: Schaut auf die Fundamente, nutzt wie wir diesen Kirchenraum, damit Eure Seele sich aus der Tiefe der Betrübnis erheben und auf-er-stehen kann. Schau auf die Wurzel, Wir erleben jetzt einen Mai, da die Bäume schon blühen, und oft aus totem Holz sich neues Leben hervorkämpft. Darum möchte ich schließen mit einem Gedicht zum Mai von Erich Kästner:

Wo sind die Tage, die so traurig waren
und deren Traurigkeit uns so bezwang?
Die Sonne scheint. Das Jahr ist sich im klaren.
Es ist, um schreiend aus der Haut zu fahren
und als Ballon den blauen Himmel lang! 

Man könnte, denkt man, wenn man wollte, fliegen.
Vom Stuhle fort. Und auf die Palme
Auf weißen Wolken wie auf Sofas liegen
und sich gelegentlich vornüber biegen
und denken: „Also das dort ist die Alme.“

Man könnte sich mit Blumen unterhalten
und Wiesen streicheln wie sein Fräulein Braut.
Man könnte sich in tausend Teile spalten
und vor Begeisterung die Hände falten.
Sie sind nur gar nicht mehr dafür gebaut.
Man zieht sich voller Zweifel an den Haaren.
Die Sonne scheint, als hätt‘ es wieder Sinn.
Wo sind die Tage, die so traurig waren?
Es ist, um förmlich aus der Haut zu fahren.
Die größte Schwierigkeit ist nur: Wohin?


als pdf

zum Anhören

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.